SOPHIE WOLF - FREELANCE CREATIVE
UNGEFRAGTE BUCHEMPFEHLUNGEN
Auf dem Instagram @sophie__dazu für mehr Buchempfehlungen.
"Ich sage oft, dass Lesen im Prinzip den schwächsten
aller menschlichen Muskeln trainiert: den Muskel der Empathie."
Etgar Keret



_____"Die Ferien" von Weike Wang
Ich wünschte, „Die Ferien” von Weike Wang würde verfilmt werden. Dann wäre es ein kluger Film mit satirischer Schärfe, inszeniert wie ein modernes Kammerspiel.
Keru, Tochter chinesischer Einwander*innen, und Nate, weißer Akademiker aus einer Arbeiter*innenfamilie, sind ein junges Ehepaar Mitte 30, leben in Manhattan und haben sich bewusst gegen Kinder und für einen großen Hund entschieden.
Sie verbringen ihre Ferien in einem fancy Ferienhaus gemeinsam mit den Eltern (erst mit ihren, dann seinen). Zwei Elternpaare, die in ihrer Art und in ihren Ansichten und Wertvorstellungen nicht unterschiedlicher sein könnten.
Was nach Familienidylle klingt, entpuppt sich als Kammerspiel voller Fallstricke: Stereotype, Rassismus und Klassismus. Weike Wang verdichtet all diese Aspekte zu messerscharfen Dialogen und einer Situationskomik, die in ihrer Bitterkeit ihre Kraft entfaltet.
Das Buch zeigt, wie sehr Fragen von Zugehörigkeit, Privilegien und Macht den Alltag prägen und bleibt dabei unglaublich unterhaltsam.
Weike Wang „Die Ferien”, übersetzt von Andrea O’Brien. Danke Kjona Verlag & Kirchner Kommunikation für das Leseexemplar. Die Lektüre hat mich bestens durch eine Coroni-Erkrankung und einen Urlaub getragen.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 9783910372481
Verlag: Kjona Verlag



_____"Vorwiegend festkochend" von Lara M. Gahlow
Minna ist 92, die Jahre haben sie kleiner werden lassen und sie ist auf den Pflegedienst angewiesen. Moni ist Mitte 30, ziemlich groß und ihre neue Pflegerin. Zwei Mal die Woche kommt sie vorbei. Aus einer anfangs distanzierten Beziehung entsteht langsam eine ehrliche, fragile Form von Bindung.
Diese schmale Buch ist eine zärtlich-schmerzliche Erzählung über das Altwerden, über Nähe, Pflege und über den gesellschaftlichen Umgang mit älteren Menschen. Es ist leicht zu lesen, ohne oberflächlich zu sein und streift dabei viele schwere Themen, die uns alle etwas angehen.
Mit jedem Wort spürt man die Zuneigung, die sich zwischen den beiden Figuren aufbaut und auch die Verbundenheit der Autorin mit ihnen. Ein herzliches Büchlein. Und ein schönes Geschenk für alle, die Beziehungen zu ihren Großmüttern, Wahl-Omis oder Freundschaften zu älteren Damen pflegen.
Nur Heartfeelings für „Vorwiegend festkochend“ von Lara M. Gahlow 💕 Meine Stiefoma hat mir früher immer gesagt (ihr Tipp in Bezug auf Männer): „Holzauge sei wachsam! Warte mit dem Zusammenziehen und heirate bloß niemals!“ Und: „Jedes Mandelle hat sei’ Brandelle.“ (wörtlich: Jede Mandel hat eine Brandstelle; sinngemäß: Niemand ist perfekt. Oder in ihrem Kontext: Kein Mann ist perfekt.) Was ist ein Spruch, der euch von eurer Oma oder einer anderen älteren Frau in Erinnerung geblieben ist?
Danke für dieses Leseexemplar Anker Wechsel und Kirchner Kommunikation.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-947596-20-1
Verlag: Anker Wechsel


_____"Das Beste sind die Augen" von Monika Kim
“Das Beste sind die Augen” von Monika Kim so besonders macht, ist die Fähigkeit, Wut und Mitgefühl gleichzeitig spürbar zu machen, ohne eines dem anderen unterzuordnen. #AngryEmpathy at its best ✨
Ji-won, 18 Jahre alt, wächst in einer koreanisch-amerikanischen Familie in den USA auf. Als ihr Vater die Familie verlässt, bleiben die Mutter und die zwei Teenager-Töchter Ji-won und Ji-hyun zurück, und jede von ihnen versucht, den Bruch in ihrem Leben auf ihre eigene Weise zu verarbeiten.
Ji-won fällt ihr erstes Studienjahr schwer, sie verliert alte Freundschaften und ringt mit neuen Beziehungen. Als ihre Mutter einen neuen Partner vorstellt, wird aus dem Zuhause ein Ort der Bedrohung. Ji-won und ihre Schwester sind sexualisierten Blicken und asiatischer Fetischisierung ausgesetzt. Auch in ihrem Freundeskreis erlebt Ji-won rassistische Mikroaggressionen. Mit jeder neuen Erfahrung wächst ihre Wut. Gewl@t- und Kannib@llismusfantasien treten auf, ausgelöst durch den symbolisch aufgeladenen Moment, in dem sie ein Fischauge isst. Die Grenze zwischen Fantasie und Realität beginnt mehr und mehr zu verschwimmen…
“Das Beste sind die Augen” ist ein intensiver, verstörender Roman über intersektionale Diskriminierung. Monika Kim zeigt eindrucksvoll, was es bedeutet, als asiatische Frau in einer weißen, patriarchalen Gesellschaft entmenschlicht, sexualisiert und übersehen zu werden.
„Feministischer Horror trifft auf gesellschaftskritischen Nervenkitzel“ – dieser Satz hat mich sofort neugierig gemacht. Obwohl ich normalerweise keine Horrorgeschichten lese, hat mich dieses Buch genau deshalb bewegt, weil der Schrecken nicht fiktiv ist, sondern aus realen Erfahrungen spricht.
Der Farbschnitt und die Illustration auf der Rückseite konnten mich gestalterisch nicht so richtig abholen, aber was zwischen den Buchdeckeln passiert, macht das mehr als wett.
Große Leseempfehlung! Mehr solche feministischen Horrorgeschichten bitte!
“Das Beste sind die Augen”, übersetzt von Jasmin Humburg.
Vielen Dank an Kiwi Space zur Verfügungstellung eines Leseexemplares.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-462-00998-9
Verlag: Kiwi Sphere / Kiwi Space

_____"Das Jahr der Rückkehr" von Ivana Akotowaa Ofori
Ivana Akotowaa Ofori „Das Jahr der Rückkehr“ —— 2019 wurde von der ghanaischen Regierung zum „Year of Return“ erklärt, um an die Ankunft der ersten versklavten Afrikaner*innen in Nordamerika zu gedenken. Im Dezember des genannten Jahres, reist die Journalistin Adwapa gemeinsam mit Freund*innen in ihr Geburtsland, nach Ghana. Es ist eine Reise zwischen Erinnerung, Verlust und Verbundenheit.
Am Cape Coast Castle, einem der zentralen Orte des transatlantischen Sklavenhandels, steht sie mit Blick auf den Atlantik. Hier wurden unzählige Menschen unter entwürdigenden und brutalen Bedingungen eingesperrt und auf Schiffe gezwungen. Für viele begann hier ein Leben in Ketten, geprägt von Gew@lt, Entrechtung und generationsübergreifendem Trauma.
Als Adwapa auf das Meer blickt, nimmt sie etwas wahr, das sich jenseits rationaler Erklärung bewegt. Sie sieht etwas auf dem Wasser gleiten. Aber da ist noch mehr. Pure Angst. Und eine starke Präsenz, die bis in jeden Zentimeter ihres Körpers spürbar ist…
Ich möchte nicht zu viel vom Inhalt verraten, denn diese Novelle lebt von der atmosphärischen Spannung und der Vielschichtigkeit. Wer auf komplexes, gesellschaftlich aufgeladenes Storytelling wie in Jordan Peeles “Get Out” hofft, wird hier fündig, auch wenn “Das Jahr der Rückkehr” ganz eigene Wege geht.
Die Autorin schafft es, Themen wie strukturellen Rassismus, Medienverhalten in Krisen, Verschwörungsdenken und die Nachwirkungen kolonialer Gewalt in einer dichten, bildstarken Erzählung zu verweben. Die Novelle erinnert daran, dass sich Geschichte nicht abschließen lässt, schon gar nicht dort, wo die Wunden offen geblieben sind.
Ich hatte das Glück, nicht nur das Buch lesen zu dürfen, sondern auch Ivana Akotowaa Ofori letzte Woche live bei einer Lesung zu erleben. Es war spürbar, wie sehr dieses Buch nicht nur erzählt, sondern getragen ist von Geschichte, Stärke, Zärtlichkeit und Intelligenz.
Danke für die Einladung und dafür, dass ich dieses Buch lesen durfte. Es hat mich tief bewegt.
Aus dem Englischen von Sven Lasse Awe.
Danke für das Lesexemplar, das mir von InterKontinental Verlag zur Verfügung gestellt wurde.
⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-911361-03-3
Verlag: InterKontinental



_____"Unter Grund" von Annegret Liepold
Franka, die Hauptfigur des Romans “Unter Grund”, und ich haben zwei wesentliche Dinge gemeinsam: Wir leben beide in Berlin und kommen ursprünglich aus Franken. Wie es der Zufall will, haben mich verschiedene private Anlässe im letzten Monat zweimal nach Franken reisen lassen, während ich “Unter Grund” gelesen habe.
Schon im Zug musste ich dem Gespräch eines 28-jährigen Schaffners zuhören, der, frustriert darüber, dass „in Deutschland gar nix mehr gesagt werden darf, auch nicht im Bundestag“, überlegte, in die Schweiz oder nach Dubai auszuwandern. In Teilzeit würde er als Pflegekraft arbeiten und sei nach wie vor stolz darauf, sich in Coroni-Zeiten nicht habe impfen zu lassen. Eine Mischung aus wirrer Selbstinszenierung und rechtem Opferdiskurs, wie er heute nicht nur auf Telegram zu finden ist, sondern längst mitten in der Gesellschaft.
Vom Zug Berlin–Würzburg zurück zu Franka: In Jugendjahren, genauer gesagt 2006, lässt sich die Fünfzehnjährige auf die Neonaziszene ein. Es sind nicht nur „falsche Freund*innen“ und „falsche Entscheidungen“, sondern auch die schleichende Normalisierung rechter Ideologie im Alltag. Jahrzehnte später, 2017, ist Franka angehende Lehrerin und besucht mit einer Schulklasse den NSU-Prozess. Die Konfrontation mit dem, was sie selbst verdrängt hat, trifft sie unerwartet hart. Sie kehrt in ihr fränkisches Heimatdorf zurück und sieht sich dort nicht nur mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, sondern auch mit der ihrer Familie.
Ich habe als Jugendliche mal einen Satz aufgeschnappt, ob es eine Redewendung war oder nur der Kommentar einer einzelnen Person, weiß ich nicht mehr. Er lautete: „Der Gstank kommt vom Frank‘.“ Gemeint war damit, dass Franken, besonders Nürnberg, ein ideologisches Zentrum des Nationalsozialismus war. Faschismus ist kein abgeschlossenes Kapitel, sondern wirkt fort: in Strukturen, in Sprache, im Alltag.
Ich wünschte, “Unter Grund” von Annegret Liepold würde zur Schullektüre in Bayern: als Grundlage für Gespräche über verdrängte Geschichte, rechte Kontinuitäten und die Verantwortung, die daraus erwächst.
Große Leseempfehlung, besonders für Fränk*innen und alle, die Franken den Rücken gekehrt haben.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-89667-766-2
Verlag: Blessing Verlag

_____Inga Machel "Auf den Gleisen"
Wie eine Theaterbühne mit rotierender Plattform – unaufhaltsam in Bewegung. Die Kulisse wechselt stetig: die Straßen Berlins heute - die Schönhauser Allee - ein Kinderzimmer vielleicht in den 90ern - die Unterführung beim Ringcenter - eine stickige, dunkle, kleine Wohnung - Beton - Krankenbett - Kindheit - damals - heute. Die Bühne dreht sich, und wir folgen Mario. Wir sehen ihn mit seinem Vater, mal sehen wir statt seines Vaters den Drogenabhängigen P. P. kämpft, der Vater kämpft, Mario kämpft. Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen, das Trauma zieht immer wieder seine Kreise.
Der Roman zeigt eindrücklich, wie sich traumatische Erfahrungen über Generationen hinweg fortsetzen – ein Kreislauf, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt. Die ungeschönte, direkte Erzählweise macht diesen Kreislauf spürbar. Wer literarische Milieustudien mit präziser Sprache und atmosphärischer Dichte schätzt, wird „Auf den Gleisen“ mögen, versprochen.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-498-00342-5
Verlag: Rowohlt
_____ Karin Smirnoff "Wunderkind"
Wie erzählt man vom Unaussprechlichen?
Von einer Mutter, die ihr Neugeborenes bewusst hungern lässt, kaum Nahrung, keine Liebe. Von Vertrauenspersonen, die den Wunsch nach Zuneigung, Liebe und Beständigkeit ausnutzen.
Kann man das zur Sprache bringen, wofür einem (noch) die Worte fehlen?
Karin Smirnoff, im Deutschen aus dem Schwedischen übersetzt von Ursel Allenstein, hat dafür die Perspektive von Kindern gewählt. Eindringlich. Schonungslos. Kraftvoll. Seltsam distanziert und doch so verdammt nah.
Habe zwei Monate gebraucht dieses Buch zu lesen. Kein Buch zur Erholung, keins für den Urlaub oder zum Abschalten – und genau das macht es so wichtig.
Inhaltshinweis: Dieses Buch behandelt psychische und phsische Gew@lt sowie M|ssbr@uch. Es kann belastend wirken und verlangt den Lesenden einiges ab.
⭐️⭐️
ISBN: 978-3-446-27585-0
Verlag: Hanser Literaturverlag




_____"„Kommando Ajax“" von Cemile Sahin
Vorweg: Ganz große Liebe für das aussergewöhnliche Design von „Kommando Ajax“. Und wer Lust hat, einen Action-Film zu lesen, der ist mit diesem Buch gut beraten.
Die Form, wie Kommando Ajax geschrieben erinnert mich an klassische Treatments. Wenn man in der Werbung oder im Marketing einen Film schreibt, schreibt man in der Regel nach der Entwicklung der Filmidee ein Treatment. Das Treatment beschreibt, was man sieht und gibt erste Hinweise auf den Schnitt, Kameraeinstellung etc. Im zweiten Schritt interpretiert der oder die Regisseur*in die Treatments und erstellt seine/ihre Vision von der Filmidee und dem Treatment - meist mit Film- und Szenenreferenzen zur Veranschaulichung.
Müsste ich zu Kommando Ajax Schnittreferenzen mitgeben, wäre das nicht Tarantinos „Kill Bill“ wie im Pressetext erwähnt, sondern eher (genauso old-school wie Tarantino) Guy Ritchie Filme wie „Snatch“ oder die 2024 gelaunchte Serie „The Gentlemen“.
Mit dem großen Unterschied, dass Sahins Roman von einer kurdischen Familie handelt, die ins Exil nach Rotterdam flüchten muss.
Hab mich am Anfang schwer getan, reinzukommen, aber dennoch eine große Empfehlung für alle experimentierfreudigen Leser*innen.
⭐️⭐️
ISBN: 978-3-351-04207-3
Verlag: Aufbau Verlag

_____Nora Bossong "Reichskanzlerplatz"
Ein Roman, der wie ein Zirkel das Leben der jungen Magda Friedländer, der späteren Magda Quandt, umkreist und bei der späteren Magda Goebbels endet. Dabei wird ein präzises Bild vom Berlin der 20er- und 30er-Jahre gezeichnet, aus der Sicht des Protagonisten Hans Kesselbach, der zunächst in Magdas Stiefsohn Hellmut verliebt ist und später eine Affäre mit ihr beginnt. Er versucht, seine Homosexualität zu verbergen, während sie aus ihrer unglücklichen Ehe versucht zu flüchten.
Magda Goebbels, geborene Friedländer, Stieftochter eines jüdischen Kaufmanns – wie konnte sie zur Vorzeigemutti der Nazis zu werden? Wer erwartet, die Beantwortung dieser Frage dadurch zu erhalten, Magda näherzukommen, anstatt sie nur zu umkreisen, wird enttäuscht. Stattdessen bewegt man sich mit Hans durch die Straßen Berlins, lernt auch das flirrende Nachtleben der 20er kennen, das für Hans und sein Umfeld immer prekärer und gefährlicher wird.
Ein aufschlussreicher Roman, der seine Längen hat, aber in seiner Quintessenz knapp und auf den Punkt ist: Gerade in unruhigen Zeiten voller H3tz3 und H4ss gibt es Momente, in denen wir uns bewusst entscheiden.
⭐️⭐️
ISBN: 978-3-518-43190-0
Verlag: Suhrkamp

_____Mia Raben “Unter Dojczen”
Ein Roman voller Empathie, der einen eindringlichen Einblick gibt in das Leben einer polnischen Frau und alleinerziehenden Mutter, die als Pflegekraft in Deutschland arbeitet. Ein Leben, stellvertretend für viele Pflegekräfte in einem ausbeuterischen System.
Jola hat schon einige Arbeitsstellen hinter sich. Eine ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: die Arbeitsstelle bei einem älteren Ehepaar. Er hatte Alzheimer. Sie war verbittert und böse. Jola gerät in ein toxisches Arbeitsverhältnis, aus dem sie traumatisiert, mittellos und kraftlos entkommt, aber dafür in Kauf nimmt, für einige Zeit ohne Obdach zu sein.
Ihre neue Arbeitsstelle verschlägt sie nach Hamburg zur Familie von Klewen, wo sie sich um die Matriarchin der Arztfamilie, Ursula genannt “Uschi”, kümmern soll. Uschi ist alles andere als leicht zu handhaben. Jola lässt sich aber nicht so schnell aus der Ruhe bringen und kennt die alten Deutschen und deren Eigenarten nur zu gut. Zum Beispiel den Hang dazu, materielle Dinge zu wichtig zu nehmen und penibel genaue Vorstellungen zu haben, wie eben jene Gegenstände gefälligst behandelt werden müssen – und wehe, man weicht davon ab. Das führte bei mir zu kleinen Flashbacks, wie wütend Großmütter werden konnten, wenn man sich auf dem Sofa aus Versehen auf die Zierkissen gesetzt hatte.
Mit viel Geduld und Empathie findet Jola einen Zugang zu Uschi; sie entwickeln eine besondere Beziehung. Jola erträgt auch tapfer all die Mikroaggressionen und übergriffigen Momente von Uschis Schwiegertochter.
Neben Jola der Pflegekraft, der unermüdlichen Arbeiterin, lernen wir auch Jola in ihrer Rolle als Mutter kennen, die sich dadurch, dass sie ihren Beruf stets an erste Stelle stellte, sich über die Jahre von ihrer Tochter entfernt hat.
„Unter Dojczen“ ist ein kluges, sensibles Buch über die Lebensrealität einer polnischen Frau, die in Deutschland arbeitet, über polnischen Kultur und über ein kaputtes System und die damit verbundenen Schicksale. Und es ist ein Buch über eine starke Frau, die den Menschen stets mit Mitgefühl begegnet, egal wie prekär ihre eigene Situation ist.
Ich stelle die steile These auf, dass jede Person, die dieses Buch liest, mit mehr Empathie auf die Menschen blicken wird, die nach Deutschland kommen, um in den Pflegeberufen zu arbeiten.
Mir hat es neue Perspektiven eröffnet, für die ich dankbar bin. Genau das ist die Kraft von Büchern: Neue Perspektiven ermöglichen und daraus ein neues Verständnis entwickeln und Empathie fördern.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 3910372279
Verlag: Kjona Verlag
_____ Zwei Kreuzfahrten und eine Enttäuschung. “Das Meer von unten” Marie Darrieussecq & “Land in Sicht” von Ilona Hartmann.
Entweder kostenlos als Geschenk oder zur Suche des leiblichen Vaters – nicht mehr und nicht weniger braucht es als Grund (oder Entschuldigung), um einen Roman rundum eine Kreuzfahrt zu schreiben.
„Das Meer von unten” von Marie Darrieussecq -
Ein Luxus-Kreuzfahrtschiff rettet schiffbrüchige geflüchtete Personen. Die französische Kreuzfahrtschiff-Gästin Rose, Psychologin & Mutter, die die Kreuzfahrt mit ihren Kindern von ihrer Mutter geschenkt bekommen hat, klaut nachts heimlich das Smartphone ihres Sohns, um es Younés zu geben, einem jungen geretteten Mann, dem sie zufällig auf dem Schiff kurz begegnet und später bei sich aufnimmt.
Es könnte ein Buch sein über Zeichen der Menschlichkeit oder über die vielen Möglichkeiten, tätig zu werden, eben über das wichtige Thema Seenotrettung.

Der Kontrast von Luxusleben in Paris & Kreuzfahrtschiff von Rose vs Geflüchtetenschicksal von Younés funktioniert nicht. Einseitig, zwei Leben die nicht auf Augenhöhe erzählt werden. Es geht fast ausschließlich um das privilegierte Leben der unreflektierten Rose. Kaum zu ertragen, was und wie sie über Younés denkt. Als Rose dann noch zur Wunderheilerin stilisiert wird – Ciao. Empathie? Fehlanzeige. Maximal wütend hat es mich gemacht. Maximal genervt und maximal froh, als das Buch durch war. Ging es jemandem ähnlich?Da war mir Ilona Hartmanns “Land in Sicht” lieber. Jana ist 24 und vermutet ihren leiblichen, bis dato ihr unbekannten Vater auf der MS Mozart, einem Kreuzfahrtschiff auf der Donau. Mit so schönen Formulierungen wie “...und meine Stimme klang auch anders, als ich dachte – dünn und wellig wie nasses Papier” erzählt Ilona Hartmann erfrischend unsentimental die Geschichte von Jana. Nicht frei von Berliner Sprüchen, deren wir alle überdrüssig sind, aber das ist absolut verzeihbar. Liest sich leicht weg und hinterlässt das angenehme Gefühl von Spearmint-Unterhaltung ohne Schwere oder Tiefe, was in Ordnung ist, weil nie etwas anderes behauptet wurde.

_____Alexandra Stahl „Frauen, die beim Lachen sterben“
Es passiert nicht viel in “Frauen, die beim Lachen sterben. Iris findet sich auf einer griechischen Insel wieder. Das Leben hat sie durchgeschüttelt. Wir erfahren viel über ihren Beruf, über ihren Ex, über ihren Job und noch mehr über ihre Freundinnen Katja und Ela. Es ist ein Buch über Krisen, über Freundinnenschaft, über das Verletzt werden und das verletzt sein, über Katzenbabys mit Durchfall und Menschen, die tagsüber Arschlöcher sind und abends Yoga zum Entspannen machen.
Iris ist ein Kind der 80er.
Iris wohnt in Berlin.
Iris rennt nicht zum Bus. Aus Prinzip.
Iris liest nur Bücher von Frauen. Aus Prinzip.
Maximale Skepsis bei Männern, bei denen sich nur Bukowski, Frisch, Knausgård & Co. im Regal finden.
Bisher kannte ich nur eine Iris. Die war unser Kindermädchen und außerdem Fleischereifachverkäuferin. Jetzt kenne ich noch eine andere Iris und wir haben jede Menge gemeinsam. Das eigene Leben also – so ein Klischee, dass es sich in einem Buch wiederfindet. Immerhin ein richtig gutes 🤷🏻♀️
Danke, Alexandra Stahl für dieses smarte, leichte aber alles andere als flache Buch. Mit Humor hab ich es eigentlich nicht so, aber dieser trockene, feine Witz war ganz nach meinem Geschmack, vielleicht liegts an uns Unterfranken.
PS: Würgeengel-Bekanntschaften – red flag. Ganz klar.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-99027-292-3
Verlag: Jung und Jung



_____"Karl May" von Enis Maci und Mazlum Nergiz
04.06.2024
Karl May mag ich lieber nackt.
Natürlich meine ich das Buch ohne Cover-Umschlag, was denn sonst. Und der Inhalt? Was für ein Theater.
Wie eine 360 Grad Bühne tut sich #KarlMay von @enis_maci und @enjoycombustion auf. Während sich auf der einen Seite die Kulisse Karl Mays biographischer Hochstapelei und Kleinkriminalität auftut, ist auf der anderen Seite die Kulisse der Karl-May-Spiele Bad Segeberg noch im Auf- oder Abbau (so genau lässt sich das nicht sagen). Und direkt vor uns stehen Karl May und Pierre Brice, einer schaut uns tief in die Augen, während wir von seiner Militärzeit und seinen großen Show-Momenten erfahren, schwer auszuhalten.
Kurz hält der Scheinwerfer auf gesellschaftskritische Themen, wie den literarischen Kolonial!smus, zu kurz, um in die Tiefe zu gehen. Alles Fragmente, einzelne Szenen, alles zerlegt und neu zusammengesetzt.
Auf dem Silbersee spiegelt sich die Ironie – auch ganz ohne QR-Code-Soundtrack (davon gibt es nämlich mehrere im Buch, ich habe zwei ausprobiert). So schonungslos wie sie Karl May zerpflücken, wundert es nicht, dass die Autor*innen nicht mit Karl May aufgewachsen sind. Ich auch nicht. Und so hätte ich mir zur Ironie on top mehr Tiefe oder mehr Show bei der Kritik gewünscht, eins von beidem und ich wär wunschlos glücklich gewesen.
Für Theater-Liebhaber*innen und Fans von moderner, experimenteller Literatur – euch sei Karl May wärmstens empfohlen und ans Herz gelegt. Und alleine dafür, dass dieser Satz in diesem Fall möglich ist, gilt es, Enis Maci und Mazlum Nergiz zu gratulieren.
⭐️⭐️
ISBN: 978-3-518-12806-0
Verlag: edition Suhrkamp

_____"„Erzähle mir von hier, ich erzähl dir von anderswo“" Hrg. Veronika Trubel, Walter Grond
12.05.2024
Bei all der Sch*%ße und der H€tze in der Welt, ist dieses Buch und das Projekt dahinter, eine Herzensangelegenheit, die es zu Lesen lohnt.
6 junge Schreibende kamen anlässlich der Leipziger Buchmesse 2023 und des dazugehörigen Gastlandes Österreich zusammen und sprachen bei einem Workshop über (gelungene) Integration, über Themen wie Ängste, Demokratie, R@ssismus.
Die Texte, mal poetisch und mal prosaisch, sind mehr als bloße Erzählungen; sie sind Fenster in andere Lebensweisen, die neue Perspektiven nahebringen und so unser Weltbild erweitern. Besonders beeindruckend ist, wie das Buch durch seine Geschichten einen Gegenpol zu den allgegenwärtigen Nachrichten von H@ss und Intoler@nz bietet.
In einer Zeit, in der die digitale als auch die reale Welt oft von hetz€rischen Schlagzeilen dominiert werden, erinnert uns „Erzähle mir von hier, ich erzähl dir von anderswo“ daran, dass Menschlichkeit und Zusammenhalt noch immer existieren und gefeiert werden sollten, auch wenn das nicht immer leicht ist. Ich kann mir das leicht zu lesende Buch gut als Inspirationsprojekt vorstellen, das andere junge Menschen dazu ermutigt, sich auszutauschen und gemeinsam zu schreiben, statt übereinander zu reden 💛
Die Autor*innen: Fariza Bisaeva, Mahdi Hussaini, Govany Roufaeil, Felix König, Liv Modes , Bernadette Sarman
Herausgeber*innen: Veronika Trubel, Walter Grond
Für alle, die von dieser Art von Geschichten nicht genug bekommen können, empfehle ich den Podcast „Cousengs und Cousinen“, dort sprechen die Hosts mit Menschen mit Migrationshintergrund, einigen der inspirierendsten Köpfe Deutschlands 🔥
⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-7920-0289-6
Verlag: Karl Rauch

_____"Zitronen" von Valerie Fritsch
30.04. 2024
Sätze, die ich mir am liebsten um den Hals hängen würde, wenn sie nicht so schwer wären 🫠
Triggerwarnung: Gewalt. #ValerieFritsch „Zitronen“ Im ersten Teil des Buchs, der August Drachs Kindheit behandelt, entfaltet Valerie Fritsch durch ihre Sprache eine skurrile Schönheit von Schmerz und Gewalt. Fast unbemerkt beginnt man, das Leid deswegen zu akzeptieren. Es erscheint fast logisch, diese Schönheit halten zu wollen. Als gäbe es keine andere Konsequenz, provoziert Augusts Mutter das Leid ihres Sohnes, mischt ihm heimlich Medikamente bei und suhlt sich sowohl in seinem Schmerz als auch in der Aufmerksamkeit, die sie dadurch erhält.
Mich fasziniert, wie Valerie Fritsch im ersten Teil des Buches Schmerz und Gewalt durch ihre Sprache so wunderschön verpackt, dass das Münchhausen-by-proxy-Syndrom fast folgerichtig erscheint. Das liegt an Sätzen wie „Sie lebte versteckt im Faltenwurf einer unauffälligen Biographie.“ oder „... dass die Lücke, die er hinterlassen hatte, weniger schmerzte als seine Anwesenheit.“
Im dritten Teil des Buchs ändert sich die Sprache; August wird erwachsen. Die erlernte Nicht-Kommunikation mischt sich gefährlich mit Leid und Liebe, die für August stets eng miteinander verknüpft sind. Das eine gab es nie ohne das andere. Es kommt, wie es kommen muss…
Ich fand „Herzklappen von Johnson & Johnson“ schon fabelhaft. „Zitronen“ hat mich ebenfalls tief beeindruckt. Absolute Empfehlung. Neues Herzensbuch.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-518-43172-6
Verlag: Suhrkamp



_____"Kaste – Die Ursprünge unseres Unbehagens" von Isabel Wilkerson
09.05.2024
Isabel Wilkersons „Kaste – Die Ursprünge unseres Unbehagens“, das perfekt in das US-Wahljahr passt, fesselt schon auf der ersten Seite mit dem Kapitel „Der Mann in der Menge“.
In diesem Kapitel geht es um ein Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahr 1936, das Angestellte einer Hamburger Werft beim Stapellauf eines Schulschiffs zeigt. Alle bis auf einen heben zum Hitlergruß den rechten Arm, während ein Arbeiter seine Arme in einer trotzig anmutenden Geste verschränkt. Am Ende des Kapitels stellt Wilkerson die provokante Frage: „Was bräuchte es heute, dieser Mann zu sein?“
“Kaste, die Ursprünge unseres Unbehagens” von Isabel Wilkerson, übersetzt von Jan Wilm, ist wie das Betreten eines großen Raumes. Die scharfsinnigen Analysen liegen wie auf einem meterlangen Leuchttisch ausgebreitet vor dem inneren Auge, Archivmaterial neben persönlichen Schnappschüssen, verbunden mit Linien. Das Buch beleuchtet das Kastensystem und die damit verbundenen Sprachen der Unterdrückung – Rassismus, Sexismus, Klassismus. Wilkerson zieht Parallelen zwischen dem indischen Kastensystem, den Vereinigten Staaten und dem Dritten Reich, um zu zeigen, wie tief verwurzelt und universell diese Strukturen sind.
Für mich liegt jedoch der besondere Wert des Buches in der Verknüpfung unterschiedlicher Ereignisse, im Kleinen, die das Große beeinflussen und umgekehrt. Was mich außerdem sehr beeindruckt hat: Isabel Wilkersons analytische Klarheit ist voller Menschlichkeit und frei von unnötiger akademischer Komplexität
Die Autorin wurde als erste afroamerikanische Frau mit einem Pulitzer-Preis für Journalismus ausgezeichnet und leitete viele Jahre das Büro der New York Times in Chicago. Sie hat in Harvard und Princeton gelehrt und unterrichtet zurzeit an der Boston University. “Kaste” eignet sich ideal als Zweitlektüre, da die Kapitel unabhängig voneinander lesbar sind und die hohe Anzahl an Seiten auf diese Weise leichter zu handeln ist, zumindest für mich war es so.
Auch hier wieder: haptisch ein Traum und das Cover Design wie immer beim Kjona Verlag nicht nur schick sondern auch sinnvoll. Danke für das Rezensionsexemplar
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-910372-04-7
Verlag: Kjona Verlag

_____"Unter Verrückten sagt man du" von Lea De Gregorio
26.03.2024
Verrückt. Adjektiv. Der Duden unterstreicht: “Der Bezug des Adjektivs “verrückt” und davon abgeleiteter Wörter auf geistig oder psychisch kranke Menschen ist stark diskriminierend“. Bei Wiktionary findet sich kein solcher Hinweis, stattdessen der Beispielsatz: “Der Typ ist total verrückt. Halt dich von ihm fern.”
Wer nicht nur aufzeigt, sondern zerlegt und belegt, ist Lea De Gregorio mit ihrem Mitte März erschienenen Buch “Unter Verrückten sagt man du”.
De Gregorio setzt sich mit ihrer psychiatrischen Behandlung auseinander, mit dem Gefühl des “Verrücktwerdens” und übt Kritik an den damit verbundenen sozialen & institutionellen Praktiken und zeigt Diskriminierungen auf. Als Betroffene, als Zuhörende und vor allem als Journalistin beleuchtet sie den Umgang mit dieser Thematik – sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart.
Bei aller Härte und gesellschaftlicher Kritik ist “Unter Verrückten sagt man du” mehr als ein Angebot des Duzens. Es ist ein Willkommen heißen, ein ausgesprochen liebevolles Angebot, eine Einladung zu einer anderen Sichtweise, ein gemeinsames Aufstehen.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-518-47430-3
Verlag: Suhrkamp Nova



_____"Schreib den Namen deiner Mutter"
von Evan Tepest
24.03.2024
#SchreibdenNamendeinerMutter Club Fantasien
Wenn ich in der Bahn eine Person sehe, die ein Buch liest, das ich auch gelesen habe und gut finde, fühle ich mich sofort dieser Person verbunden. Als gehöre man dem gleichen Club an. Das Buch der Club-Ausweis, das internationale Erkennungszeichen: stillschweigende Anerkennung.
Evan Tepests Debütroman “Schreib den Namen deiner Mutter” habe ich zum Großteil in der Bahn gelesen. Ich mag die Vorstellung, dass mir ein*e Tepest Leser*in zufällig gegenüber saß und sich mir wegen meiner Lektüre verbunden fühlte. Vielleicht war die Person sogar Teil des zartcore fabelhaften Publikums der Lesung in der Clinker Lounge im Februar. Wer weiß. Was ich sicher weiß, ist, dass ich das Buch sehr mochte.
Die entwaffnende Ehrlichkeit, mit der sich Alex bei der Reise in die “Heimat” öffnet, um die schwierige Aufgabe zu meistern, einen Essay über die eigene Mutter zu schreiben.
Traumata, generationstypische Nicht-Kommunikation der Boomer-Fraktion aka Eltern, Kindheitserinnerungen, nach Bacardi Breezer (!) schmeckende Kleinstadt-Vibes und sich ändernde Pronomen begleiten Alex beim Versuch, sich der Mutter (und somit auch sich selbst) zu nähern. Wohl die einzige Art von Berliner Club, die ich mag 💛
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-492-07271-7
Verlag: Piper Verlag

_____"kein vergessen" von Thomas Billstein
18.03.2024
Das Motto des Unrast-Verlags lautet „Bücher der Kritik“ und wurde mit besonderem Augenmerk auf linksgerichtete und antifaschistische Literatur gegründet. Mir ist der Verlag zum ersten Mal aufgefallen, als ich nach May Ayim Büchern gesucht habe. #keinvergessen ist die erste vollständige Dokumentation bekanntgewordener tödlicher Gewalttaten durch Rechte in Deutschland nach 1945. Jede einzelne Falldarstellung enthält neben der Beschreibung des Tathergangs auch Informationen zur juristischen Strafverfolgung, zur Täterstruktur und zu den Tatmotiven.
Denn fernab von bekannten Jahrestagen, an denen Opfern gedacht wird, gibt es noch viel mehr Fälle, die nicht vergessen werden dürfen.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-89771-278-2
Verlag: Unrast Verlag



_____"Die Unvollständige" von Valerie Bäuerlein
10.03.2024
Valerie Bäuerlein “Die Unvollständige” ••• Mubi-Abonnent*innen, Bildende Künste-& Film Studierende und Arthouse-Fans werden “Die Unvollständige” lieben, versprochen 🤞🏻💜
Berlin, erste Szene: Liegnitzer Straße. Sie, die Erzählerin, die Filmregisseurin, die ehemalige Studentin, streift durch Berlin, ihrem Lebensmittelpunkt und lässt uns an ihren Gedanken teilhaben – natürlich unter Einbezug filmtechnischer Fachbegriffe, denn sie ist ja schließlich Regisseurin.
Mit einer Mischung aus leichtem Narzissmus und einer gewissen Gefahr, dass ihre Selbstbetrachtung jederzeit kippen könnte – als würde sie sich selbst von oben betrachten, aus der Ferne, jedoch mit einem klaren Fokus auf sich selbst –, durchquert sie die Stadt.
Läuft die Straßen entlang, Rolltreppen hoch, in Gebäude hinein und heraus, teilt ihr überraschend konkretes Wissen über die Historie der jeweiligen Gebäude – was mich schon zum nächsten Fragment bringt, den kurzen Schwarz-Weiß-History-Channel-Einspielern. Mit dem Charm eines Wikipedia-Artikels erfahren wir die NS-Vergangenheit der Berliner Orte und Bauten, an welchen die Erzählerin schweren Herzens und noch schwererem Geistes lustwandelt.
Dann ist da auch Tala, die sie in einem Laden traf. Tala, die Hauptdarstellerin im ersten Film der Erzählerin, Tala, die Suizid beging, Tala, die – jetzt kommen wir zum Splitscreen – der Regisseurin ausführliche Reiseberichte schrieb.
Viele Komponenten, schmales Buch, dennoch keine leicht wegzulesende Kost. Schöne Formulierungen, überraschende, wenn auch manchmal verkünstelte Beschreibungen.
Kurz fassbar wird es für mich, als man mehr von Tala und ihrer iranischen Mutter erfährt, da bin ich auf einmal mittendrin, statt nur Statistin.
Das Fragmentarische, das Zusammengesetzte, stets mit der Erwartung, dass das „große Ganze“ kommt, der Kreis sich schließt.
“... oder waren es nur wir selbst, die nach einer Auflösung, einer Erklärung suchten, während alles naturgemäß Chaos war, ohne tieferliegende Struktur oder Ordnung, ohne Sinn?”
Kjona Verlag wie schön können Haptik und Aussehen eines Buches sein ❤️ Herzlichen Dank für das Rezensionsexemplar.
Großen Dank auch an die Kirchner Kommunikation für‘s Organisieren ❤️
⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-910372-13-9 Verlag: Kjona Verlag

_____"Gewässer im Ziplock" von Dana Vowinckel
06.03.2024
Willkommen in der größten Manege der ambivalenten Gefühle – den Familienkonstellationen. Hier tanzt die Rollenverteilung, jonglieren die Traumata, und die Teenager-Verwirrungen glänzen im Scheinwerferlicht. Fügt man jetzt noch die Themenfelder deutsch-amerikanisch-jüdisch, jüdische Traditionen und deutsche Erinnerungskultur hinzu, wird aus der Manege ein hochkomplexes Gebilde, ideal für einen Drahtseilakt.
Willkommen bei #GewässerImZiplock von Dana Vowinckel. Margarita pubertiert, zweifelt und ätzt vor sich hin – sei es in Israel, Deutschland oder Amerika. Wir erleben dies sowohl aus Margaritas Perspektive als auch aus der Sicht ihres gläubigen Vaters Avi.
Die Nebenfiguren, sei es die Mutter, die Großmutter, der Großvater oder der kurzweilige Liaison Partner Lior, sind mir genauso ans Herz gewachsen wie Margarita und Avi selbst. Große Liebe, große Empfehlung ❤️
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-518-47360-3
Verlag: Suhrkamp Nova
_____"Der Kaninchenstall" von Tess Gunty, übersetzt von Sophie Zeitz
14.01.2024
Manchmal, wenn ich durch die Straßen spaziere und mir die Plattenbauten und Mehrfamilienhäuser anschaue, wünschte ich, die Häuser wären meterhohe Schicht-Torten, die ich mit einem großen Messer einmal längs, ganz sanft gleitend, ohne Widerstand durchschneiden und aufklappen könnte, um mir das wie Puppenstuben erscheinende kleine Leben anschauen zu können.
Tess Gunty hat mich erhört.
Mit Blandines Tod lernen wir die verschiedenen Bewohner*innen eines heruntergekommenen Apartmentkomplexes kennen, irgendwo im amerikanischen Nirgendwo. Tristesse und Beton, wohin man schaut. Zwischendrin lernen wir ein Mädchen kennen, dessen ätherische Schönheit nicht nur ihrem Lehrer auffällt, sondern auch ihren Mitbewohnern. Ihr kurzes Leben war alles andere als leicht. Leicht sind auch die Mäuse, die auf Balkone geworfen werden, oder Kippen. Wer zu viele Kippen raucht, landet dagegen schnell auf dem Schreibtisch einer Frau, die als Angestellte eine Nachruf-Seite kuratiert und pflegt. Kuriositäten, die nur die kleinen Leben schreiben können. Sanft und sehnsüchtig auf der einen Seite, brutales Leben und Beton auf der anderen Seite.
Viele kleine Leben, großes absurdes Kino.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-462-00300-0 Verlag: Kiepenheuer&Witsch


_____"Nadine" von Katrin Seddig
09.02.2024
Das Buch könnte auch „Claudia“, „Silke“ oder „Nicole“ heißen.
Aufgewachsen in den 70ern, ein bisschen zu laut und ein bisschen zu groß, um als durchschnittliche Frau zu gelten. Wir begegnen Nadine, als ihre Tochter in den 2020ern Suizid begeht. Von da an lernen wir ihre Familiengeschichte kennen. Ihre Vergangenheit, früh von der eigenen Mutter verlassen. Bis zur Gegenwart, in der sie ihrem pflegebedürftigen Vater mit Wut und Gewalt begegnet.
Ihre Entwicklung erleben wir hautnah: Vom Mädchen, das mit Backwaren Freundschaft und Zuneigung kaufen wollte und bis zur alternden Frau, in der alles aufbricht, all die in den vergangenen Jahrzehnten vergessenen und verdrängten Gefühle.
"Sie hatte bereits den Verdacht, für gar nichts richtig geeignet zu sein" – wie viele als Frauen gelesene Personen finden sich hier wieder? Sehr viele, will ich wetten.
Inklusive fulminantem Twist👌🏻 Für alle, die „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher mochten, eine absolute Empfehlung.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-7371-0174-5
Verlag: Rowohlt Berlin
_____"Quallen haben keine Ohren" von Adèle Rosenfeld, übersetzt von Nicola Denis
03.11.2023
Wer "Quallen haben keine Ohren" gelesen hat, erhält einen Einblick in die Welt eines Menschen, der nicht nur zwischen Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit steht, sondern auch gesellschaftlich am Rand, oder, um in Adèles Bild zu bleiben, im Keller eines Bürgeramts.
Mit einer Schwerhörigkeit aufgewachsen, zählt Louise weder zu den gehörlosen Menschen, die der Gebärdensprache perfekt mächtig sind, noch zu den vollständig Hörenden.
Die große Frage, da sie weniger und weniger hört: Cochlea-Implantat oder nicht.
Poetisch und gleichermaßen schonungslos wurde ich mitgenommen in die immer mehr verstummende Welt der Protagonistin, die droht, im Dazwischen zermalmt zu werden. Erbarmungslos wird der Ableismus des Alltags aufgezeigt.
Scham macht sich in mir breit. Und Wut. Mehr davon bitte.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-518-43135-1 Verlag: Suhrkamp


_____"I'm a Fan" von Sheena Patel, übersetzt von Anabelle Assaf
25.09.2023
Stell dir vor, eine enge Freundin von dir kennt nur zwei Themen: “den Mann, mit dem ich zusammen sein will“ und „die Frau, von der ich besessen bin“. Klingt nervig. Ist es auch.
Und genau das macht “I’m a Fan” aus. Hätte es am liebsten weg gelegt. Kannste aber nicht. Du beendest ja auch keine Freundschaft, nur weil eine deiner Freund*innen mal wieder irgendwen oder irgendwas obsessed (und wer noch nie obsessed hat, werfe den ersten Stein.
Klingt oberflächlich? Irrtum.
In “I’m a Fan” trifft die dunkle Seite des heutigen Social Media Konsumverhaltens auf ätzende toxische Männlichkeit und entlarvt ganz nebenbei #whiteprivilege und #rassismus, dem die Erzählerin ausgesetzt ist.
Sheena Patel ist Autorin und Regieassistentin für Film und Fernsehen. Sie gehört dem Kollektiv 4 Brown Girls Who Write an und hat Erzählungen und Gedichte in Anthologien veröffentlicht. 2022 kürte der Observer sie zu den zehn besten Debütautor*innen. I’m a fan, definitiv.
⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-446-27680-2
Verlag: hanserblau
_____"Lügen über meine Mutter" von Daniela Dröscher
16.11.2022
Hier trifft Tragik auf Theorie, Erkenntnis auf Empathie.
Lest dieses Buch und erkennt euch, eure Mütter und Väter und die Mechanismen, das System, die Struktur, in denen wir stecken.
Was macht Klassismus mit uns?
Wie wirken sich die Schönheitsideale auf uns aus?
Wie wirken sich die sozialen Rollenstereotypen auf uns aus?
Mit „uns“ heißt hier: auf unsere Mütter, auf unsere Väter - und zwangsläufig auf uns, von klein auf, als Kinder.
Danielas Buch ging mitten in mein Herz und ist dort bis heute noch fest verankert. Wir erleben das weibliche Ich namens Ela, das in den 80ern aufwächst. Die Mutter ist übergewichtig, ihr Gewicht wird zum Alltagsthema beim Vater. (Ein bisschen erinnert es mich daran, wie ich mich im Frankreich Urlaub für meinen Vater schämte. Und heute schäme ich mich für diese Scham. Ich wünschte, ich könnte mich entschuldigen.) Weiter mit Elas Leben: Der Vater ist getrieben von der Sehnsucht, endlich aufzusteigen – "was aus sich machen", wie man auf dem Dorf so schön sagt. Ela aus der Kindheit wird die erwachsene Ela entgegengesetzt. Und dieses erwachsene Ich hat die Strukturen erkannt, in denen es aufwuchs. Wenn alle so reflektiert wären, gäbe es weniger Kriege.
Dieses Buch gehört als Lektüre in die Schulklassen (!).
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-462-00199-0
Verlag: Kiepenheuer&Witsch


_____"Das Archiv der Träume" von Carmen Maria Machado, übersetzt von Anna-Nina Kroll
23.05.2023
Mit der Wucht eines Vorschlaghammers präzise eine queere, toxische Beziehung seziert. Sie nimmt uns mit. In kurzen Kapiteln, in das Gefühls- & Liebesleben sowie in queere Geschichte.
In Carmens Traumhaus bleibt es dank Gaslighting ziemlich düster. Überhaupt gibt es ziemlich viel Ungemütliches „In the Dreamhouse“: Carmen lässt einen die kalten Badfliesen genauso spüren wie die ernüchternden Ausflüge in die Archive feministischer & intersektionaler Geschichte ebenso die Verzweiflung bei „Defending our lives“ auf YouTube.
Am Schlimmsten aber sind die von ihrer (Ex-)Partnerin erbauten Mauern, die sie vom Rest der Welt isolierten.
PS: Wer zur Hölle kam auf die Idee, „In the Dreamhouse“ mit „Archiv der Träume“ zu übersetzen? 😑
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-608-50450-7
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
Mein Exemplar: Büchergilde Gutenberg
_____"Shuggie Bain" von Douglas Stuart, übersetzt von Sophie Zeitz
Shuggie Bain zu lesen ist, als säße man in einem dieser unbequemen weißen Gartenstühle aus Plastik. Der Gartenstuhl platziert vor einem heruntergekommenen Haus, in einer tristen Gegend in Glasgow der 80er Jahren, der Thatcher Ära. Der Himmel ist grau, die Häuser sind grau, ein Arbeiterviertel in vollkommener Tristesse. Arbeitslosigkeit, Alkoholsucht und Depression sind Alltag.
Man sitzt in diesem Gartenstuhl, der immer unbequemer wird während die Staub- und Dreckschicht mit den Jahren und Jahrzehnten immer dicker wird – und man noch immer auf die Familie in diesem Haus blickt. Und wenn das Buch vorbei ist, wenn man endlich von diesem unbequemen Gartenstuhl aufstehen kann, sich den Staub von den Knien klopft und glücklich ist, nur Beobachter*in und nicht Teil gewesen zu sein, kommt die Erkenntnis, dass der Roman autobiografische Züge beinhaltet.
Douglas Stuart, heute erfolgreicher Modedesigner für u.a. Calvin Klein und Gap, stammt aus einer Arbeiterfamilie und wuchs in Glasgow bei seiner alleinerziehenden, alkoholkranken Mutter auf. Die Identität seines Vaters ist ihm nicht bekannt. Nach dem Tod der Mutter lebte er zeitweise bei seinem älteren Bruder, später auf sich allein gestellt in einem Boardinghouse.
Die Charaktere, in ihrer Komplexität und Tiefe, in ihrer unausweichlichen Boshaftigkeit, entsprungen aus seelischer und physischer Gewalt, mal getrieben von Hoffnung, mal mit schmerzender Naivität ausgestattet, sind so vielschichtig und ziehen jeden in ihren Bann.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-446-27108-1
Verlag: Hanser Berlin


_____"Spitzenreiterinnen" von Jovana Reisinger
21.11.2021
Ich stehe selten gerne in einer Schlange, aber es gibt Ausnahmen: Impfen, Hokey Pokey und Lobhudeleien für Spitzenreiterinnen.
Jaja, ich weiß, ich bin spät dran.
Worum geht’s in #spitzenreiterinnen?
Um Frauen. Ihre Namen sind Frauenzeitschriften entlehnt, männliche Namen werden mit dem Anfangsbuchstaben nur angedeutet. Christians, Philips, Martins? Egal. So richtig egal.
Es geht um Frauen. Und wie sie in unserer Gesellschaft zurecht kommen. Zwischen Schönheitsidealen, Optimierungswahn, häuslicher Gewalt, Traumhochzeiten, gescheiterten Ehen, glücklichen Beziehungen, Todesfällen. All die hübschen rosa Gesellschaftsstrukturen, die da sind.
Der letzte Satz einer SZ-Rezension bringt es auf den Punkt:
Dieses Buch ist die denkbar lustigste Version des sonst zwingend humorlosen Satzes: Sexismus ist ein strukturelles Problem.
An dieser Stelle ein Dank an meine Insta Bubble, die mich immer wieder daran erinnert hat, dieses Buch endlich zu lesen.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 9783957324726
Verlag: Verbrecher Verlag
_____"Ich bin Özlem" von Dilek Güngör
25.06.2021
Ich wünschte, unsere Welt würde nicht den Lauten mehr Gehör schenken, sondern den leiseren Stimmen.
Dilek Güngör bringt mit ihrer klaren, präzisen Sprache Özlem mir näher. Anfangs besteht eine Distanz, die mit jeder kleinen Alltagsszene, mit jedem Rückblick in die Kindheit schwindet, und plötzlich bin ich mittendrin, im großen Knall, im Streit mit ihren Freund*innen auf Usedom. Der Auslöser: Eine Brennpunktschule mit hohem Ausländeranteil und dass niemand am Tisch seine Kinder dort hinschicken will. Rassismus steht im Raum, Pauschalurteile über Minderheiten, Selbstmitleid, Minderwertigkeitsgefühle, Scham, Neid.
Identität und Zugehörigkeit sind für die Protagonistin, die in Schwaben aufgewachsene Özlem, Themen, mit denen sie sich zwangsläufig schon in ihrer Kindheit auseinandersetzen muss. Und genau dieses Spannungsfeld entlädt sich für Özlem auf Usedom. Auch hier: nicht laut, sondern leise.

»Wie verschiebe ich denn meine Perspektive, wenn mein ganzes Denken davon bestimmt ist?«
»Für den Moment halte ich mich daran fest, dass ich nicht mehr rennen und aufholen muss. Nicht besonders sein muss. Aber besonders sein wollen und besonders sein müssen sind so fest ineinander verknotet, dass ich nicht weiß, wie ich den Knoten lösen soll. Er hält mich zusammen, wenn ich ihn aufziehe, falle ich auseinander.«
Bei einem Satz von Özlem musste ich schlucken. »"Zwischen zwei Kulturen", wenn man mich auf die Palme bringen kann, dann mit dieser Plattitüde. Ich lächle.« Meine alten Werbekolleg*innen werden verstehen, warum.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 9783957323736
Verlag: Verbrecher Verlag

_____"Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" von Alena Schröder
03.09.2021
In „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid” von Alena Schröder macht sich die Studentin Hannah auf die Suche nach der Geschichte eines Briefs, den ihre Großmutter Evelyn erhalten hat. In diesem Brief steht, dass Dr. Evelyn Borowski die einzige lebende Erbin eines konfiszierten und nunmehr verschollenen Kunstvermögens sei. So beginnt Hannahs Suche nach Antworten.
Da ist die Großmutter Evelyn, über 80, stur, wortkarg. Über den Brief möchte sie nicht sprechen, genauso wenig wie über den Krieg und noch weniger über ihre leibliche Mutter, die es in den 30er Jahren nach Berlin zog, um einen jüdischen Redakteur zu heiraten und selbst Redakteurin zu werden, anstatt, ihrer Frauenrolle entsprechend, zu Hause als unglückliche Ehefrau und Mutter auszuharren. Das Redakteurs-Ehepaar flüchtet während des Zweiten Weltkriegs nach Dänemark. Da ist die Tante der Großmutter, die im Gegensatz zu ihrer Schwester im Dorf blieb und ihre Nichte großzog. Die Tante hatte nicht nur Spaß daran, sich Gerichte mit „echtem“ deutschen Gemüse (Kohl) auszudenken, sondern auch gegen Juden zu hetzen.
Eine vier Generationen umfassende Familiengeschichte aus der Frauenperspektive. Schnell fühlt man sich den Charakteren nahe. Die Zeitsprünge und Perspektivwechsel je Kapitel treiben die Geschichte schnell voran. Themen wie „Regreting Motherhood“, Judenverfolgung und Nazi-Raubkunst werden gestreift; teils fühlt sich das Buch wie ein Krimi an.
Fesselnd geschrieben, kommt man nicht umhin, das Buch in einem durchzulesen. Am Ende bleibt jedoch etwas Enttäuschung zurück, weil zugunsten des Erzähltempos nur oberflächlich auf Themen eingegangen wird. Dennoch eine absolute Leseempfehlung, weil man sofort das Bedürfnis hat, die eigene Familiengeschichte zu erkunden.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-423-22028-6
Verlag: dtv
Meine Ausgabe: Büchergilde Gutenberg



_____"Die Ferien" von Weike Wang
Ich wünschte, „Die Ferien” von Weike Wang würde verfilmt werden. Dann wäre es ein kluger Film mit satirischer Schärfe, inszeniert wie ein modernes Kammerspiel.
Keru, Tochter chinesischer Einwander*innen, und Nate, weißer Akademiker aus einer Arbeiter*innenfamilie, sind ein junges Ehepaar Mitte 30, leben in Manhattan und haben sich bewusst gegen Kinder und für einen großen Hund entschieden.
Sie verbringen ihre Ferien in einem fancy Ferienhaus gemeinsam mit den Eltern (erst mit ihren, dann seinen). Zwei Elternpaare, die in ihrer Art und in ihren Ansichten und Wertvorstellungen nicht unterschiedlicher sein könnten.
Was nach Familienidylle klingt, entpuppt sich als Kammerspiel voller Fallstricke: Stereotype, Rassismus und Klassismus. Weike Wang verdichtet all diese Aspekte zu messerscharfen Dialogen und einer Situationskomik, die in ihrer Bitterkeit ihre Kraft entfaltet.
Das Buch zeigt, wie sehr Fragen von Zugehörigkeit, Privilegien und Macht den Alltag prägen und bleibt dabei unglaublich unterhaltsam.
Weike Wang „Die Ferien”, übersetzt von Andrea O’Brien. Danke Kjona Verlag & Kirchner Kommunikation für das Leseexemplar. Die Lektüre hat mich bestens durch eine Coroni-Erkrankung und einen Urlaub getragen.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 9783910372481
Verlag: Kjona Verlag



_____"Vorwiegend festkochend" von Lara M. Gahlow
Minna ist 92, die Jahre haben sie kleiner werden lassen und sie ist auf den Pflegedienst angewiesen. Moni ist Mitte 30, ziemlich groß und ihre neue Pflegerin. Zwei Mal die Woche kommt sie vorbei. Aus einer anfangs distanzierten Beziehung entsteht langsam eine ehrliche, fragile Form von Bindung.
Diese schmale Buch ist eine zärtlich-schmerzliche Erzählung über das Altwerden, über Nähe, Pflege und über den gesellschaftlichen Umgang mit älteren Menschen. Es ist leicht zu lesen, ohne oberflächlich zu sein und streift dabei viele schwere Themen, die uns alle etwas angehen.
Mit jedem Wort spürt man die Zuneigung, die sich zwischen den beiden Figuren aufbaut und auch die Verbundenheit der Autorin mit ihnen. Ein herzliches Büchlein. Und ein schönes Geschenk für alle, die Beziehungen zu ihren Großmüttern, Wahl-Omis oder Freundschaften zu älteren Damen pflegen.
Nur Heartfeelings für „Vorwiegend festkochend“ von Lara M. Gahlow 💕 Meine Stiefoma hat mir früher immer gesagt (ihr Tipp in Bezug auf Männer): „Holzauge sei wachsam! Warte mit dem Zusammenziehen und heirate bloß niemals!“ Und: „Jedes Mandelle hat sei’ Brandelle.“ (wörtlich: Jede Mandel hat eine Brandstelle; sinngemäß: Niemand ist perfekt. Oder in ihrem Kontext: Kein Mann ist perfekt.) Was ist ein Spruch, der euch von eurer Oma oder einer anderen älteren Frau in Erinnerung geblieben ist?
Danke für dieses Leseexemplar Anker Wechsel und Kirchner Kommunikation.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-947596-20-1
Verlag: Anker Wechsel


_____"Das Beste sind die Augen" von Monika Kim
“Das Beste sind die Augen” von Monika Kim so besonders macht, ist die Fähigkeit, Wut und Mitgefühl gleichzeitig spürbar zu machen, ohne eines dem anderen unterzuordnen. #AngryEmpathy at its best ✨
Ji-won, 18 Jahre alt, wächst in einer koreanisch-amerikanischen Familie in den USA auf. Als ihr Vater die Familie verlässt, bleiben die Mutter und die zwei Teenager-Töchter Ji-won und Ji-hyun zurück, und jede von ihnen versucht, den Bruch in ihrem Leben auf ihre eigene Weise zu verarbeiten.
Ji-won fällt ihr erstes Studienjahr schwer, sie verliert alte Freundschaften und ringt mit neuen Beziehungen. Als ihre Mutter einen neuen Partner vorstellt, wird aus dem Zuhause ein Ort der Bedrohung. Ji-won und ihre Schwester sind sexualisierten Blicken und asiatischer Fetischisierung ausgesetzt. Auch in ihrem Freundeskreis erlebt Ji-won rassistische Mikroaggressionen. Mit jeder neuen Erfahrung wächst ihre Wut. Gewl@t- und Kannib@llismusfantasien treten auf, ausgelöst durch den symbolisch aufgeladenen Moment, in dem sie ein Fischauge isst. Die Grenze zwischen Fantasie und Realität beginnt mehr und mehr zu verschwimmen…
“Das Beste sind die Augen” ist ein intensiver, verstörender Roman über intersektionale Diskriminierung. Monika Kim zeigt eindrucksvoll, was es bedeutet, als asiatische Frau in einer weißen, patriarchalen Gesellschaft entmenschlicht, sexualisiert und übersehen zu werden.
„Feministischer Horror trifft auf gesellschaftskritischen Nervenkitzel“ – dieser Satz hat mich sofort neugierig gemacht. Obwohl ich normalerweise keine Horrorgeschichten lese, hat mich dieses Buch genau deshalb bewegt, weil der Schrecken nicht fiktiv ist, sondern aus realen Erfahrungen spricht.
Der Farbschnitt und die Illustration auf der Rückseite konnten mich gestalterisch nicht so richtig abholen, aber was zwischen den Buchdeckeln passiert, macht das mehr als wett.
Große Leseempfehlung! Mehr solche feministischen Horrorgeschichten bitte!
“Das Beste sind die Augen”, übersetzt von Jasmin Humburg.
Vielen Dank an Kiwi Space zur Verfügungstellung eines Leseexemplares.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-462-00998-9
Verlag: Kiwi Sphere / Kiwi Space

_____"Das Jahr der Rückkehr" von Ivana Akotowaa Ofori
Ivana Akotowaa Ofori „Das Jahr der Rückkehr“ —— 2019 wurde von der ghanaischen Regierung zum „Year of Return“ erklärt, um an die Ankunft der ersten versklavten Afrikaner*innen in Nordamerika zu gedenken. Im Dezember des genannten Jahres, reist die Journalistin Adwapa gemeinsam mit Freund*innen in ihr Geburtsland, nach Ghana. Es ist eine Reise zwischen Erinnerung, Verlust und Verbundenheit.
Am Cape Coast Castle, einem der zentralen Orte des transatlantischen Sklavenhandels, steht sie mit Blick auf den Atlantik. Hier wurden unzählige Menschen unter entwürdigenden und brutalen Bedingungen eingesperrt und auf Schiffe gezwungen. Für viele begann hier ein Leben in Ketten, geprägt von Gew@lt, Entrechtung und generationsübergreifendem Trauma.
Als Adwapa auf das Meer blickt, nimmt sie etwas wahr, das sich jenseits rationaler Erklärung bewegt. Sie sieht etwas auf dem Wasser gleiten. Aber da ist noch mehr. Pure Angst. Und eine starke Präsenz, die bis in jeden Zentimeter ihres Körpers spürbar ist…
Ich möchte nicht zu viel vom Inhalt verraten, denn diese Novelle lebt von der atmosphärischen Spannung und der Vielschichtigkeit. Wer auf komplexes, gesellschaftlich aufgeladenes Storytelling wie in Jordan Peeles “Get Out” hofft, wird hier fündig, auch wenn “Das Jahr der Rückkehr” ganz eigene Wege geht.
Die Autorin schafft es, Themen wie strukturellen Rassismus, Medienverhalten in Krisen, Verschwörungsdenken und die Nachwirkungen kolonialer Gewalt in einer dichten, bildstarken Erzählung zu verweben. Die Novelle erinnert daran, dass sich Geschichte nicht abschließen lässt, schon gar nicht dort, wo die Wunden offen geblieben sind.
Ich hatte das Glück, nicht nur das Buch lesen zu dürfen, sondern auch Ivana Akotowaa Ofori letzte Woche live bei einer Lesung zu erleben. Es war spürbar, wie sehr dieses Buch nicht nur erzählt, sondern getragen ist von Geschichte, Stärke, Zärtlichkeit und Intelligenz.
Danke für die Einladung und dafür, dass ich dieses Buch lesen durfte. Es hat mich tief bewegt.
Aus dem Englischen von Sven Lasse Awe.
Danke für das Lesexemplar, das mir von @ikontinental zur Verfügung gestellt wurde. #DasJahrDerRückkehr #theyearofreturn #ivanaakotowaaofori

_____Inga Machel "Auf den Gleisen"
Wie eine Theaterbühne mit rotierender Plattform – unaufhaltsam in Bewegung. Die Kulisse wechselt stetig: die Straßen Berlins heute - die Schönhauser Allee - ein Kinderzimmer vielleicht in den 90ern - die Unterführung beim Ringcenter - eine stickige, dunkle, kleine Wohnung - Beton - Krankenbett - Kindheit - damals - heute. Die Bühne dreht sich, und wir folgen Mario. Wir sehen ihn mit seinem Vater, mal sehen wir statt seines Vaters den Drogenabhängigen P. P. kämpft, der Vater kämpft, Mario kämpft. Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen, das Trauma zieht immer wieder seine Kreise.
Der Roman zeigt eindrücklich, wie sich traumatische Erfahrungen über Generationen hinweg fortsetzen – ein Kreislauf, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt. Die ungeschönte, direkte Erzählweise macht diesen Kreislauf spürbar. Wer literarische Milieustudien mit präziser Sprache und atmosphärischer Dichte schätzt, wird „Auf den Gleisen“ mögen, versprochen.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-498-00342-5
Verlag: Rowohlt
_____ Karin Smirnoff "Wunderkind"
Wie erzählt man vom Unaussprechlichen?
Von einer Mutter, die ihr Neugeborenes bewusst hungern lässt, kaum Nahrung, keine Liebe. Von Vertrauenspersonen, die den Wunsch nach Zuneigung, Liebe und Beständigkeit ausnutzen.
Kann man das zur Sprache bringen, wofür einem (noch) die Worte fehlen?
Karin Smirnoff, im Deutschen aus dem Schwedischen übersetzt von Ursel Allenstein, hat dafür die Perspektive von Kindern gewählt. Eindringlich. Schonungslos. Kraftvoll. Seltsam distanziert und doch so verdammt nah.
Habe zwei Monate gebraucht dieses Buch zu lesen. Kein Buch zur Erholung, keins für den Urlaub oder zum Abschalten – und genau das macht es so wichtig.
Inhaltshinweis: Dieses Buch behandelt psychische und phsische Gew@lt sowie M|ssbr@uch. Es kann belastend wirken und verlangt den Lesenden einiges ab.
⭐️⭐️
ISBN: 978-3-446-27585-0
Verlag: Hanser Literaturverlag




_____"„Kommando Ajax“" von Cemile Sahin
Vorweg: Ganz große Liebe für das aussergewöhnliche Design von „Kommando Ajax“. Und wer Lust hat, einen Action-Film zu lesen, der ist mit diesem Buch gut beraten.
Die Form, wie Kommando Ajax geschrieben erinnert mich an klassische Treatments. Wenn man in der Werbung oder im Marketing einen Film schreibt, schreibt man in der Regel nach der Entwicklung der Filmidee ein Treatment. Das Treatment beschreibt, was man sieht und gibt erste Hinweise auf den Schnitt, Kameraeinstellung etc. Im zweiten Schritt interpretiert der oder die Regisseur*in die Treatments und erstellt seine/ihre Vision von der Filmidee und dem Treatment - meist mit Film- und Szenenreferenzen zur Veranschaulichung.
Müsste ich zu Kommando Ajax Schnittreferenzen mitgeben, wäre das nicht Tarantinos „Kill Bill“ wie im Pressetext erwähnt, sondern eher (genauso old-school wie Tarantino) Guy Ritchie Filme wie „Snatch“ oder die 2024 gelaunchte Serie „The Gentlemen“.
Mit dem großen Unterschied, dass Sahins Roman von einer kurdischen Familie handelt, die ins Exil nach Rotterdam flüchten muss.
Hab mich am Anfang schwer getan, reinzukommen, aber dennoch eine große Empfehlung für alle experimentierfreudigen Leser*innen.
⭐️⭐️
ISBN: 978-3-351-04207-3
Verlag: Aufbau Verlag

_____Nora Bossong "Reichskanzlerplatz"
Ein Roman, der wie ein Zirkel das Leben der jungen Magda Friedländer, der späteren Magda Quandt, umkreist und bei der späteren Magda Goebbels endet. Dabei wird ein präzises Bild vom Berlin der 20er- und 30er-Jahre gezeichnet, aus der Sicht des Protagonisten Hans Kesselbach, der zunächst in Magdas Stiefsohn Hellmut verliebt ist und später eine Affäre mit ihr beginnt. Er versucht, seine Homosexualität zu verbergen, während sie aus ihrer unglücklichen Ehe versucht zu flüchten.
Magda Goebbels, geborene Friedländer, Stieftochter eines jüdischen Kaufmanns – wie konnte sie zur Vorzeigemutti der Nazis zu werden? Wer erwartet, die Beantwortung dieser Frage dadurch zu erhalten, Magda näherzukommen, anstatt sie nur zu umkreisen, wird enttäuscht. Stattdessen bewegt man sich mit Hans durch die Straßen Berlins, lernt auch das flirrende Nachtleben der 20er kennen, das für Hans und sein Umfeld immer prekärer und gefährlicher wird.
Ein aufschlussreicher Roman, der seine Längen hat, aber in seiner Quintessenz knapp und auf den Punkt ist: Gerade in unruhigen Zeiten voller H3tz3 und H4ss gibt es Momente, in denen wir uns bewusst entscheiden.
⭐️⭐️
ISBN: 978-3-518-43190-0
Verlag: Suhrkamp

_____Mia Raben “Unter Dojczen”
Ein Roman voller Empathie, der einen eindringlichen Einblick gibt in das Leben einer polnischen Frau und alleinerziehenden Mutter, die als Pflegekraft in Deutschland arbeitet. Ein Leben, stellvertretend für viele Pflegekräfte in einem ausbeuterischen System.
Jola hat schon einige Arbeitsstellen hinter sich. Eine ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: die Arbeitsstelle bei einem älteren Ehepaar. Er hatte Alzheimer. Sie war verbittert und böse. Jola gerät in ein toxisches Arbeitsverhältnis, aus dem sie traumatisiert, mittellos und kraftlos entkommt, aber dafür in Kauf nimmt, für einige Zeit ohne Obdach zu sein.
Ihre neue Arbeitsstelle verschlägt sie nach Hamburg zur Familie von Klewen, wo sie sich um die Matriarchin der Arztfamilie, Ursula genannt “Uschi”, kümmern soll. Uschi ist alles andere als leicht zu handhaben. Jola lässt sich aber nicht so schnell aus der Ruhe bringen und kennt die alten Deutschen und deren Eigenarten nur zu gut. Zum Beispiel den Hang dazu, materielle Dinge zu wichtig zu nehmen und penibel genaue Vorstellungen zu haben, wie eben jene Gegenstände gefälligst behandelt werden müssen – und wehe, man weicht davon ab. Das führte bei mir zu kleinen Flashbacks, wie wütend Großmütter werden konnten, wenn man sich auf dem Sofa aus Versehen auf die Zierkissen gesetzt hatte.
Mit viel Geduld und Empathie findet Jola einen Zugang zu Uschi; sie entwickeln eine besondere Beziehung. Jola erträgt auch tapfer all die Mikroaggressionen und übergriffigen Momente von Uschis Schwiegertochter.
Neben Jola der Pflegekraft, der unermüdlichen Arbeiterin, lernen wir auch Jola in ihrer Rolle als Mutter kennen, die sich dadurch, dass sie ihren Beruf stets an erste Stelle stellte, sich über die Jahre von ihrer Tochter entfernt hat.
„Unter Dojczen“ ist ein kluges, sensibles Buch über die Lebensrealität einer polnischen Frau, die in Deutschland arbeitet, über polnischen Kultur und über ein kaputtes System und die damit verbundenen Schicksale. Und es ist ein Buch über eine starke Frau, die den Menschen stets mit Mitgefühl begegnet, egal wie prekär ihre eigene Situation ist.
Ich stelle die steile These auf, dass jede Person, die dieses Buch liest, mit mehr Empathie auf die Menschen blicken wird, die nach Deutschland kommen, um in den Pflegeberufen zu arbeiten.
Mir hat es neue Perspektiven eröffnet, für die ich dankbar bin. Genau das ist die Kraft von Büchern: Neue Perspektiven ermöglichen und daraus ein neues Verständnis entwickeln und Empathie fördern.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 3910372279
Verlag: Kjona Verlag
_____ Zwei Kreuzfahrten und eine Enttäuschung. “Das Meer von unten” Marie Darrieussecq & “Land in Sicht” von Ilona Hartmann.
Entweder kostenlos als Geschenk oder zur Suche des leiblichen Vaters – nicht mehr und nicht weniger braucht es als Grund (oder Entschuldigung), um einen Roman rundum eine Kreuzfahrt zu schreiben.
„Das Meer von unten” von Marie Darrieussecq -
Ein Luxus-Kreuzfahrtschiff rettet schiffbrüchige geflüchtete Personen. Die französische Kreuzfahrtschiff-Gästin Rose, Psychologin & Mutter, die die Kreuzfahrt mit ihren Kindern von ihrer Mutter geschenkt bekommen hat, klaut nachts heimlich das Smartphone ihres Sohns, um es Younés zu geben, einem jungen geretteten Mann, dem sie zufällig auf dem Schiff kurz begegnet und später bei sich aufnimmt.
Es könnte ein Buch sein über Zeichen der Menschlichkeit oder über die vielen Möglichkeiten, tätig zu werden, eben über das wichtige Thema Seenotrettung.

Der Kontrast von Luxusleben in Paris & Kreuzfahrtschiff von Rose vs Geflüchtetenschicksal von Younés funktioniert nicht. Einseitig, zwei Leben die nicht auf Augenhöhe erzählt werden. Es geht fast ausschließlich um das privilegierte Leben der unreflektierten Rose. Kaum zu ertragen, was und wie sie über Younés denkt. Als Rose dann noch zur Wunderheilerin stilisiert wird – Ciao. Empathie? Fehlanzeige. Maximal wütend hat es mich gemacht. Maximal genervt und maximal froh, als das Buch durch war. Ging es jemandem ähnlich?Da war mir Ilona Hartmanns “Land in Sicht” lieber. Jana ist 24 und vermutet ihren leiblichen, bis dato ihr unbekannten Vater auf der MS Mozart, einem Kreuzfahrtschiff auf der Donau. Mit so schönen Formulierungen wie “...und meine Stimme klang auch anders, als ich dachte – dünn und wellig wie nasses Papier” erzählt Ilona Hartmann erfrischend unsentimental die Geschichte von Jana. Nicht frei von Berliner Sprüchen, deren wir alle überdrüssig sind, aber das ist absolut verzeihbar. Liest sich leicht weg und hinterlässt das angenehme Gefühl von Spearmint-Unterhaltung ohne Schwere oder Tiefe, was in Ordnung ist, weil nie etwas anderes behauptet wurde.

_____Alexandra Stahl „Frauen, die beim Lachen sterben“
Es passiert nicht viel in “Frauen, die beim Lachen sterben. Iris findet sich auf einer griechischen Insel wieder. Das Leben hat sie durchgeschüttelt. Wir erfahren viel über ihren Beruf, über ihren Ex, über ihren Job und noch mehr über ihre Freundinnen Katja und Ela. Es ist ein Buch über Krisen, über Freundinnenschaft, über das Verletzt werden und das verletzt sein, über Katzenbabys mit Durchfall und Menschen, die tagsüber Arschlöcher sind und abends Yoga zum Entspannen machen.
Iris ist ein Kind der 80er.
Iris wohnt in Berlin.
Iris rennt nicht zum Bus. Aus Prinzip.
Iris liest nur Bücher von Frauen. Aus Prinzip.
Maximale Skepsis bei Männern, bei denen sich nur Bukowski, Frisch, Knausgård & Co. im Regal finden.
Bisher kannte ich nur eine Iris. Die war unser Kindermädchen und außerdem Fleischereifachverkäuferin. Jetzt kenne ich noch eine andere Iris und wir haben jede Menge gemeinsam. Das eigene Leben also – so ein Klischee, dass es sich in einem Buch wiederfindet. Immerhin ein richtig gutes 🤷🏻♀️
Danke, Alexandra Stahl für dieses smarte, leichte aber alles andere als flache Buch. Mit Humor hab ich es eigentlich nicht so, aber dieser trockene, feine Witz war ganz nach meinem Geschmack, vielleicht liegts an uns Unterfranken.
PS: Würgeengel-Bekanntschaften – red flag. Ganz klar.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-99027-292-3
Verlag: Jung und Jung



_____"Karl May" von Enis Maci und Mazlum Nergiz
04.06.2024
Karl May mag ich lieber nackt.
Natürlich meine ich das Buch ohne Cover-Umschlag, was denn sonst. Und der Inhalt? Was für ein Theater.
Wie eine 360 Grad Bühne tut sich #KarlMay von @enis_maci und @enjoycombustion auf. Während sich auf der einen Seite die Kulisse Karl Mays biographischer Hochstapelei und Kleinkriminalität auftut, ist auf der anderen Seite die Kulisse der Karl-May-Spiele Bad Segeberg noch im Auf- oder Abbau (so genau lässt sich das nicht sagen). Und direkt vor uns stehen Karl May und Pierre Brice, einer schaut uns tief in die Augen, während wir von seiner Militärzeit und seinen großen Show-Momenten erfahren, schwer auszuhalten.
Kurz hält der Scheinwerfer auf gesellschaftskritische Themen, wie den literarischen Kolonial!smus, zu kurz, um in die Tiefe zu gehen. Alles Fragmente, einzelne Szenen, alles zerlegt und neu zusammengesetzt.
Auf dem Silbersee spiegelt sich die Ironie – auch ganz ohne QR-Code-Soundtrack (davon gibt es nämlich mehrere im Buch, ich habe zwei ausprobiert). So schonungslos wie sie Karl May zerpflücken, wundert es nicht, dass die Autor*innen nicht mit Karl May aufgewachsen sind. Ich auch nicht. Und so hätte ich mir zur Ironie on top mehr Tiefe oder mehr Show bei der Kritik gewünscht, eins von beidem und ich wär wunschlos glücklich gewesen.
Für Theater-Liebhaber*innen und Fans von moderner, experimenteller Literatur – euch sei Karl May wärmstens empfohlen und ans Herz gelegt. Und alleine dafür, dass dieser Satz in diesem Fall möglich ist, gilt es, Enis Maci und Mazlum Nergiz zu gratulieren.
⭐️⭐️
ISBN: 978-3-518-12806-0
Verlag: edition Suhrkamp

_____"„Erzähle mir von hier, ich erzähl dir von anderswo“" Hrg. Veronika Trubel, Walter Grond
12.05.2024
Bei all der Sch*%ße und der H€tze in der Welt, ist dieses Buch und das Projekt dahinter, eine Herzensangelegenheit, die es zu Lesen lohnt.
6 junge Schreibende kamen anlässlich der Leipziger Buchmesse 2023 und des dazugehörigen Gastlandes Österreich zusammen und sprachen bei einem Workshop über (gelungene) Integration, über Themen wie Ängste, Demokratie, R@ssismus.
Die Texte, mal poetisch und mal prosaisch, sind mehr als bloße Erzählungen; sie sind Fenster in andere Lebensweisen, die neue Perspektiven nahebringen und so unser Weltbild erweitern. Besonders beeindruckend ist, wie das Buch durch seine Geschichten einen Gegenpol zu den allgegenwärtigen Nachrichten von H@ss und Intoler@nz bietet.
In einer Zeit, in der die digitale als auch die reale Welt oft von hetz€rischen Schlagzeilen dominiert werden, erinnert uns „Erzähle mir von hier, ich erzähl dir von anderswo“ daran, dass Menschlichkeit und Zusammenhalt noch immer existieren und gefeiert werden sollten, auch wenn das nicht immer leicht ist. Ich kann mir das leicht zu lesende Buch gut als Inspirationsprojekt vorstellen, das andere junge Menschen dazu ermutigt, sich auszutauschen und gemeinsam zu schreiben, statt übereinander zu reden 💛
Die Autor*innen: Fariza Bisaeva, Mahdi Hussaini, Govany Roufaeil, Felix König, Liv Modes , Bernadette Sarman
Herausgeber*innen: Veronika Trubel, Walter Grond
Für alle, die von dieser Art von Geschichten nicht genug bekommen können, empfehle ich den Podcast „Cousengs und Cousinen“, dort sprechen die Hosts mit Menschen mit Migrationshintergrund, einigen der inspirierendsten Köpfe Deutschlands 🔥
⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-7920-0289-6
Verlag: Karl Rauch

_____"Zitronen" von Valerie Fritsch
30.04. 2024
Sätze, die ich mir am liebsten um den Hals hängen würde, wenn sie nicht so schwer wären 🫠
Triggerwarnung: Gewalt. #ValerieFritsch „Zitronen“ Im ersten Teil des Buchs, der August Drachs Kindheit behandelt, entfaltet Valerie Fritsch durch ihre Sprache eine skurrile Schönheit von Schmerz und Gewalt. Fast unbemerkt beginnt man, das Leid deswegen zu akzeptieren. Es erscheint fast logisch, diese Schönheit halten zu wollen. Als gäbe es keine andere Konsequenz, provoziert Augusts Mutter das Leid ihres Sohnes, mischt ihm heimlich Medikamente bei und suhlt sich sowohl in seinem Schmerz als auch in der Aufmerksamkeit, die sie dadurch erhält.
Mich fasziniert, wie Valerie Fritsch im ersten Teil des Buches Schmerz und Gewalt durch ihre Sprache so wunderschön verpackt, dass das Münchhausen-by-proxy-Syndrom fast folgerichtig erscheint. Das liegt an Sätzen wie „Sie lebte versteckt im Faltenwurf einer unauffälligen Biographie.“ oder „... dass die Lücke, die er hinterlassen hatte, weniger schmerzte als seine Anwesenheit.“
Im dritten Teil des Buchs ändert sich die Sprache; August wird erwachsen. Die erlernte Nicht-Kommunikation mischt sich gefährlich mit Leid und Liebe, die für August stets eng miteinander verknüpft sind. Das eine gab es nie ohne das andere. Es kommt, wie es kommen muss…
Ich fand „Herzklappen von Johnson & Johnson“ schon fabelhaft. „Zitronen“ hat mich ebenfalls tief beeindruckt. Absolute Empfehlung. Neues Herzensbuch.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-518-43172-6
Verlag: Suhrkamp



_____"Kaste – Die Ursprünge unseres Unbehagens" von Isabel Wilkerson
09.05.2024
Isabel Wilkersons „Kaste – Die Ursprünge unseres Unbehagens“, das perfekt in das US-Wahljahr passt, fesselt schon auf der ersten Seite mit dem Kapitel „Der Mann in der Menge“.
In diesem Kapitel geht es um ein Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahr 1936, das Angestellte einer Hamburger Werft beim Stapellauf eines Schulschiffs zeigt. Alle bis auf einen heben zum Hitlergruß den rechten Arm, während ein Arbeiter seine Arme in einer trotzig anmutenden Geste verschränkt. Am Ende des Kapitels stellt Wilkerson die provokante Frage: „Was bräuchte es heute, dieser Mann zu sein?“
“Kaste, die Ursprünge unseres Unbehagens” von Isabel Wilkerson, übersetzt von Jan Wilm, ist wie das Betreten eines großen Raumes. Die scharfsinnigen Analysen liegen wie auf einem meterlangen Leuchttisch ausgebreitet vor dem inneren Auge, Archivmaterial neben persönlichen Schnappschüssen, verbunden mit Linien. Das Buch beleuchtet das Kastensystem und die damit verbundenen Sprachen der Unterdrückung – Rassismus, Sexismus, Klassismus. Wilkerson zieht Parallelen zwischen dem indischen Kastensystem, den Vereinigten Staaten und dem Dritten Reich, um zu zeigen, wie tief verwurzelt und universell diese Strukturen sind.
Für mich liegt jedoch der besondere Wert des Buches in der Verknüpfung unterschiedlicher Ereignisse, im Kleinen, die das Große beeinflussen und umgekehrt. Was mich außerdem sehr beeindruckt hat: Isabel Wilkersons analytische Klarheit ist voller Menschlichkeit und frei von unnötiger akademischer Komplexität
Die Autorin wurde als erste afroamerikanische Frau mit einem Pulitzer-Preis für Journalismus ausgezeichnet und leitete viele Jahre das Büro der New York Times in Chicago. Sie hat in Harvard und Princeton gelehrt und unterrichtet zurzeit an der Boston University. “Kaste” eignet sich ideal als Zweitlektüre, da die Kapitel unabhängig voneinander lesbar sind und die hohe Anzahl an Seiten auf diese Weise leichter zu handeln ist, zumindest für mich war es so.
Auch hier wieder: haptisch ein Traum und das Cover Design wie immer beim Kjona Verlag nicht nur schick sondern auch sinnvoll. Danke für das Rezensionsexemplar
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-910372-04-7
Verlag: Kjona Verlag

_____"Unter Verrückten sagt man du" von Lea De Gregorio
26.03.2024
Verrückt. Adjektiv. Der Duden unterstreicht: “Der Bezug des Adjektivs “verrückt” und davon abgeleiteter Wörter auf geistig oder psychisch kranke Menschen ist stark diskriminierend“. Bei Wiktionary findet sich kein solcher Hinweis, stattdessen der Beispielsatz: “Der Typ ist total verrückt. Halt dich von ihm fern.”
Wer nicht nur aufzeigt, sondern zerlegt und belegt, ist Lea De Gregorio mit ihrem Mitte März erschienenen Buch “Unter Verrückten sagt man du”.
De Gregorio setzt sich mit ihrer psychiatrischen Behandlung auseinander, mit dem Gefühl des “Verrücktwerdens” und übt Kritik an den damit verbundenen sozialen & institutionellen Praktiken und zeigt Diskriminierungen auf. Als Betroffene, als Zuhörende und vor allem als Journalistin beleuchtet sie den Umgang mit dieser Thematik – sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart.
Bei aller Härte und gesellschaftlicher Kritik ist “Unter Verrückten sagt man du” mehr als ein Angebot des Duzens. Es ist ein Willkommen heißen, ein ausgesprochen liebevolles Angebot, eine Einladung zu einer anderen Sichtweise, ein gemeinsames Aufstehen.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-518-47430-3
Verlag: Suhrkamp Nova



_____"Schreib den Namen deiner Mutter"
von Evan Tepest
24.03.2024
#SchreibdenNamendeinerMutter Club Fantasien
Wenn ich in der Bahn eine Person sehe, die ein Buch liest, das ich auch gelesen habe und gut finde, fühle ich mich sofort dieser Person verbunden. Als gehöre man dem gleichen Club an. Das Buch der Club-Ausweis, das internationale Erkennungszeichen: stillschweigende Anerkennung.
Evan Tepests Debütroman “Schreib den Namen deiner Mutter” habe ich zum Großteil in der Bahn gelesen. Ich mag die Vorstellung, dass mir ein*e Tepest Leser*in zufällig gegenüber saß und sich mir wegen meiner Lektüre verbunden fühlte. Vielleicht war die Person sogar Teil des zartcore fabelhaften Publikums der Lesung in der Clinker Lounge im Februar. Wer weiß. Was ich sicher weiß, ist, dass ich das Buch sehr mochte.
Die entwaffnende Ehrlichkeit, mit der sich Alex bei der Reise in die “Heimat” öffnet, um die schwierige Aufgabe zu meistern, einen Essay über die eigene Mutter zu schreiben.
Traumata, generationstypische Nicht-Kommunikation der Boomer-Fraktion aka Eltern, Kindheitserinnerungen, nach Bacardi Breezer (!) schmeckende Kleinstadt-Vibes und sich ändernde Pronomen begleiten Alex beim Versuch, sich der Mutter (und somit auch sich selbst) zu nähern. Wohl die einzige Art von Berliner Club, die ich mag 💛
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-492-07271-7
Verlag: Piper Verlag

_____"kein vergessen" von Thomas Billstein
18.03.2024
Das Motto des Unrast-Verlags lautet „Bücher der Kritik“ und wurde mit besonderem Augenmerk auf linksgerichtete und antifaschistische Literatur gegründet. Mir ist der Verlag zum ersten Mal aufgefallen, als ich nach May Ayim Büchern gesucht habe. #keinvergessen ist die erste vollständige Dokumentation bekanntgewordener tödlicher Gewalttaten durch Rechte in Deutschland nach 1945. Jede einzelne Falldarstellung enthält neben der Beschreibung des Tathergangs auch Informationen zur juristischen Strafverfolgung, zur Täterstruktur und zu den Tatmotiven.
Denn fernab von bekannten Jahrestagen, an denen Opfern gedacht wird, gibt es noch viel mehr Fälle, die nicht vergessen werden dürfen.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-89771-278-2
Verlag: Unrast Verlag



_____"Die Unvollständige" von Valerie Bäuerlein
10.03.2024
Valerie Bäuerlein “Die Unvollständige” ••• Mubi-Abonnent*innen, Bildende Künste-& Film Studierende und Arthouse-Fans werden “Die Unvollständige” lieben, versprochen 🤞🏻💜
Berlin, erste Szene: Liegnitzer Straße. Sie, die Erzählerin, die Filmregisseurin, die ehemalige Studentin, streift durch Berlin, ihrem Lebensmittelpunkt und lässt uns an ihren Gedanken teilhaben – natürlich unter Einbezug filmtechnischer Fachbegriffe, denn sie ist ja schließlich Regisseurin.
Mit einer Mischung aus leichtem Narzissmus und einer gewissen Gefahr, dass ihre Selbstbetrachtung jederzeit kippen könnte – als würde sie sich selbst von oben betrachten, aus der Ferne, jedoch mit einem klaren Fokus auf sich selbst –, durchquert sie die Stadt.
Läuft die Straßen entlang, Rolltreppen hoch, in Gebäude hinein und heraus, teilt ihr überraschend konkretes Wissen über die Historie der jeweiligen Gebäude – was mich schon zum nächsten Fragment bringt, den kurzen Schwarz-Weiß-History-Channel-Einspielern. Mit dem Charm eines Wikipedia-Artikels erfahren wir die NS-Vergangenheit der Berliner Orte und Bauten, an welchen die Erzählerin schweren Herzens und noch schwererem Geistes lustwandelt.
Dann ist da auch Tala, die sie in einem Laden traf. Tala, die Hauptdarstellerin im ersten Film der Erzählerin, Tala, die Suizid beging, Tala, die – jetzt kommen wir zum Splitscreen – der Regisseurin ausführliche Reiseberichte schrieb.
Viele Komponenten, schmales Buch, dennoch keine leicht wegzulesende Kost. Schöne Formulierungen, überraschende, wenn auch manchmal verkünstelte Beschreibungen.
Kurz fassbar wird es für mich, als man mehr von Tala und ihrer iranischen Mutter erfährt, da bin ich auf einmal mittendrin, statt nur Statistin.
Das Fragmentarische, das Zusammengesetzte, stets mit der Erwartung, dass das „große Ganze“ kommt, der Kreis sich schließt.
“... oder waren es nur wir selbst, die nach einer Auflösung, einer Erklärung suchten, während alles naturgemäß Chaos war, ohne tieferliegende Struktur oder Ordnung, ohne Sinn?”
Kjona Verlag wie schön können Haptik und Aussehen eines Buches sein ❤️ Herzlichen Dank für das Rezensionsexemplar.
Großen Dank auch an die Kirchner Kommunikation für‘s Organisieren ❤️
⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-910372-13-9 Verlag: Kjona Verlag

_____"Gewässer im Ziplock" von Dana Vowinckel
06.03.2024
Willkommen in der größten Manege der ambivalenten Gefühle – den Familienkonstellationen. Hier tanzt die Rollenverteilung, jonglieren die Traumata, und die Teenager-Verwirrungen glänzen im Scheinwerferlicht. Fügt man jetzt noch die Themenfelder deutsch-amerikanisch-jüdisch, jüdische Traditionen und deutsche Erinnerungskultur hinzu, wird aus der Manege ein hochkomplexes Gebilde, ideal für einen Drahtseilakt.
Willkommen bei #GewässerImZiplock von Dana Vowinckel. Margarita pubertiert, zweifelt und ätzt vor sich hin – sei es in Israel, Deutschland oder Amerika. Wir erleben dies sowohl aus Margaritas Perspektive als auch aus der Sicht ihres gläubigen Vaters Avi.
Die Nebenfiguren, sei es die Mutter, die Großmutter, der Großvater oder der kurzweilige Liaison Partner Lior, sind mir genauso ans Herz gewachsen wie Margarita und Avi selbst. Große Liebe, große Empfehlung ❤️
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-518-47360-3
Verlag: Suhrkamp Nova
_____"Der Kaninchenstall" von Tess Gunty, übersetzt von Sophie Zeitz
14.01.2024
Manchmal, wenn ich durch die Straßen spaziere und mir die Plattenbauten und Mehrfamilienhäuser anschaue, wünschte ich, die Häuser wären meterhohe Schicht-Torten, die ich mit einem großen Messer einmal längs, ganz sanft gleitend, ohne Widerstand durchschneiden und aufklappen könnte, um mir das wie Puppenstuben erscheinende kleine Leben anschauen zu können.
Tess Gunty hat mich erhört.
Mit Blandines Tod lernen wir die verschiedenen Bewohner*innen eines heruntergekommenen Apartmentkomplexes kennen, irgendwo im amerikanischen Nirgendwo. Tristesse und Beton, wohin man schaut. Zwischendrin lernen wir ein Mädchen kennen, dessen ätherische Schönheit nicht nur ihrem Lehrer auffällt, sondern auch ihren Mitbewohnern. Ihr kurzes Leben war alles andere als leicht. Leicht sind auch die Mäuse, die auf Balkone geworfen werden, oder Kippen. Wer zu viele Kippen raucht, landet dagegen schnell auf dem Schreibtisch einer Frau, die als Angestellte eine Nachruf-Seite kuratiert und pflegt. Kuriositäten, die nur die kleinen Leben schreiben können. Sanft und sehnsüchtig auf der einen Seite, brutales Leben und Beton auf der anderen Seite.
Viele kleine Leben, großes absurdes Kino.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-462-00300-0 Verlag: Kiepenheuer&Witsch


_____"Nadine" von Katrin Seddig
09.02.2024
Das Buch könnte auch „Claudia“, „Silke“ oder „Nicole“ heißen.
Aufgewachsen in den 70ern, ein bisschen zu laut und ein bisschen zu groß, um als durchschnittliche Frau zu gelten. Wir begegnen Nadine, als ihre Tochter in den 2020ern Suizid begeht. Von da an lernen wir ihre Familiengeschichte kennen. Ihre Vergangenheit, früh von der eigenen Mutter verlassen. Bis zur Gegenwart, in der sie ihrem pflegebedürftigen Vater mit Wut und Gewalt begegnet.
Ihre Entwicklung erleben wir hautnah: Vom Mädchen, das mit Backwaren Freundschaft und Zuneigung kaufen wollte und bis zur alternden Frau, in der alles aufbricht, all die in den vergangenen Jahrzehnten vergessenen und verdrängten Gefühle.
"Sie hatte bereits den Verdacht, für gar nichts richtig geeignet zu sein" – wie viele als Frauen gelesene Personen finden sich hier wieder? Sehr viele, will ich wetten.
Inklusive fulminantem Twist👌🏻 Für alle, die „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher mochten, eine absolute Empfehlung.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-7371-0174-5
Verlag: Rowohlt Berlin
_____"Quallen haben keine Ohren" von Adèle Rosenfeld, übersetzt von Nicola Denis
03.11.2023
Wer "Quallen haben keine Ohren" gelesen hat, erhält einen Einblick in die Welt eines Menschen, der nicht nur zwischen Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit steht, sondern auch gesellschaftlich am Rand, oder, um in Adèles Bild zu bleiben, im Keller eines Bürgeramts.
Mit einer Schwerhörigkeit aufgewachsen, zählt Louise weder zu den gehörlosen Menschen, die der Gebärdensprache perfekt mächtig sind, noch zu den vollständig Hörenden.
Die große Frage, da sie weniger und weniger hört: Cochlea-Implantat oder nicht.
Poetisch und gleichermaßen schonungslos wurde ich mitgenommen in die immer mehr verstummende Welt der Protagonistin, die droht, im Dazwischen zermalmt zu werden. Erbarmungslos wird der Ableismus des Alltags aufgezeigt.
Scham macht sich in mir breit. Und Wut. Mehr davon bitte.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-518-43135-1 Verlag: Suhrkamp


_____"I'm a Fan" von Sheena Patel, übersetzt von Anabelle Assaf
25.09.2023
Stell dir vor, eine enge Freundin von dir kennt nur zwei Themen: “den Mann, mit dem ich zusammen sein will“ und „die Frau, von der ich besessen bin“. Klingt nervig. Ist es auch.
Und genau das macht “I’m a Fan” aus. Hätte es am liebsten weg gelegt. Kannste aber nicht. Du beendest ja auch keine Freundschaft, nur weil eine deiner Freund*innen mal wieder irgendwen oder irgendwas obsessed (und wer noch nie obsessed hat, werfe den ersten Stein.
Klingt oberflächlich? Irrtum.
In “I’m a Fan” trifft die dunkle Seite des heutigen Social Media Konsumverhaltens auf ätzende toxische Männlichkeit und entlarvt ganz nebenbei #whiteprivilege und #rassismus, dem die Erzählerin ausgesetzt ist.
Sheena Patel ist Autorin und Regieassistentin für Film und Fernsehen. Sie gehört dem Kollektiv 4 Brown Girls Who Write an und hat Erzählungen und Gedichte in Anthologien veröffentlicht. 2022 kürte der Observer sie zu den zehn besten Debütautor*innen. I’m a fan, definitiv.
⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-446-27680-2
Verlag: hanserblau
_____"Lügen über meine Mutter" von Daniela Dröscher
16.11.2022
Hier trifft Tragik auf Theorie, Erkenntnis auf Empathie.
Lest dieses Buch und erkennt euch, eure Mütter und Väter und die Mechanismen, das System, die Struktur, in denen wir stecken.
Was macht Klassismus mit uns?
Wie wirken sich die Schönheitsideale auf uns aus?
Wie wirken sich die sozialen Rollenstereotypen auf uns aus?
Mit „uns“ heißt hier: auf unsere Mütter, auf unsere Väter - und zwangsläufig auf uns, von klein auf, als Kinder.
Danielas Buch ging mitten in mein Herz und ist dort bis heute noch fest verankert. Wir erleben das weibliche Ich namens Ela, das in den 80ern aufwächst. Die Mutter ist übergewichtig, ihr Gewicht wird zum Alltagsthema beim Vater. (Ein bisschen erinnert es mich daran, wie ich mich im Frankreich Urlaub für meinen Vater schämte. Und heute schäme ich mich für diese Scham. Ich wünschte, ich könnte mich entschuldigen.) Weiter mit Elas Leben: Der Vater ist getrieben von der Sehnsucht, endlich aufzusteigen – "was aus sich machen", wie man auf dem Dorf so schön sagt. Ela aus der Kindheit wird die erwachsene Ela entgegengesetzt. Und dieses erwachsene Ich hat die Strukturen erkannt, in denen es aufwuchs. Wenn alle so reflektiert wären, gäbe es weniger Kriege.
Dieses Buch gehört als Lektüre in die Schulklassen (!).
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-462-00199-0
Verlag: Kiepenheuer&Witsch


_____"Das Archiv der Träume" von Carmen Maria Machado, übersetzt von Anna-Nina Kroll
23.05.2023
Mit der Wucht eines Vorschlaghammers präzise eine queere, toxische Beziehung seziert. Sie nimmt uns mit. In kurzen Kapiteln, in das Gefühls- & Liebesleben sowie in queere Geschichte.
In Carmens Traumhaus bleibt es dank Gaslighting ziemlich düster. Überhaupt gibt es ziemlich viel Ungemütliches „In the Dreamhouse“: Carmen lässt einen die kalten Badfliesen genauso spüren wie die ernüchternden Ausflüge in die Archive feministischer & intersektionaler Geschichte ebenso die Verzweiflung bei „Defending our lives“ auf YouTube.
Am Schlimmsten aber sind die von ihrer (Ex-)Partnerin erbauten Mauern, die sie vom Rest der Welt isolierten.
PS: Wer zur Hölle kam auf die Idee, „In the Dreamhouse“ mit „Archiv der Träume“ zu übersetzen? 😑
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-608-50450-7
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
Mein Exemplar: Büchergilde Gutenberg
_____"Shuggie Bain" von Douglas Stuart, übersetzt von Sophie Zeitz
Shuggie Bain zu lesen ist, als säße man in einem dieser unbequemen weißen Gartenstühle aus Plastik. Der Gartenstuhl platziert vor einem heruntergekommenen Haus, in einer tristen Gegend in Glasgow der 80er Jahren, der Thatcher Ära. Der Himmel ist grau, die Häuser sind grau, ein Arbeiterviertel in vollkommener Tristesse. Arbeitslosigkeit, Alkoholsucht und Depression sind Alltag.
Man sitzt in diesem Gartenstuhl, der immer unbequemer wird während die Staub- und Dreckschicht mit den Jahren und Jahrzehnten immer dicker wird – und man noch immer auf die Familie in diesem Haus blickt. Und wenn das Buch vorbei ist, wenn man endlich von diesem unbequemen Gartenstuhl aufstehen kann, sich den Staub von den Knien klopft und glücklich ist, nur Beobachter*in und nicht Teil gewesen zu sein, kommt die Erkenntnis, dass der Roman autobiografische Züge beinhaltet.
Douglas Stuart, heute erfolgreicher Modedesigner für u.a. Calvin Klein und Gap, stammt aus einer Arbeiterfamilie und wuchs in Glasgow bei seiner alleinerziehenden, alkoholkranken Mutter auf. Die Identität seines Vaters ist ihm nicht bekannt. Nach dem Tod der Mutter lebte er zeitweise bei seinem älteren Bruder, später auf sich allein gestellt in einem Boardinghouse.
Die Charaktere, in ihrer Komplexität und Tiefe, in ihrer unausweichlichen Boshaftigkeit, entsprungen aus seelischer und physischer Gewalt, mal getrieben von Hoffnung, mal mit schmerzender Naivität ausgestattet, sind so vielschichtig und ziehen jeden in ihren Bann.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-446-27108-1
Verlag: Hanser Berlin


_____"Spitzenreiterinnen" von Jovana Reisinger
21.11.2021
Ich stehe selten gerne in einer Schlange, aber es gibt Ausnahmen: Impfen, Hokey Pokey und Lobhudeleien für Spitzenreiterinnen.
Jaja, ich weiß, ich bin spät dran.
Worum geht’s in #spitzenreiterinnen?
Um Frauen. Ihre Namen sind Frauenzeitschriften entlehnt, männliche Namen werden mit dem Anfangsbuchstaben nur angedeutet. Christians, Philips, Martins? Egal. So richtig egal.
Es geht um Frauen. Und wie sie in unserer Gesellschaft zurecht kommen. Zwischen Schönheitsidealen, Optimierungswahn, häuslicher Gewalt, Traumhochzeiten, gescheiterten Ehen, glücklichen Beziehungen, Todesfällen. All die hübschen rosa Gesellschaftsstrukturen, die da sind.
Der letzte Satz einer SZ-Rezension bringt es auf den Punkt:
Dieses Buch ist die denkbar lustigste Version des sonst zwingend humorlosen Satzes: Sexismus ist ein strukturelles Problem.
An dieser Stelle ein Dank an meine Insta Bubble, die mich immer wieder daran erinnert hat, dieses Buch endlich zu lesen.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 9783957324726
Verlag: Verbrecher Verlag
_____"Ich bin Özlem" von Dilek Güngör
25.06.2021
Ich wünschte, unsere Welt würde nicht den Lauten mehr Gehör schenken, sondern den leiseren Stimmen.
Dilek Güngör bringt mit ihrer klaren, präzisen Sprache Özlem mir näher. Anfangs besteht eine Distanz, die mit jeder kleinen Alltagsszene, mit jedem Rückblick in die Kindheit schwindet, und plötzlich bin ich mittendrin, im großen Knall, im Streit mit ihren Freund*innen auf Usedom. Der Auslöser: Eine Brennpunktschule mit hohem Ausländeranteil und dass niemand am Tisch seine Kinder dort hinschicken will. Rassismus steht im Raum, Pauschalurteile über Minderheiten, Selbstmitleid, Minderwertigkeitsgefühle, Scham, Neid.
Identität und Zugehörigkeit sind für die Protagonistin, die in Schwaben aufgewachsene Özlem, Themen, mit denen sie sich zwangsläufig schon in ihrer Kindheit auseinandersetzen muss. Und genau dieses Spannungsfeld entlädt sich für Özlem auf Usedom. Auch hier: nicht laut, sondern leise.

»Wie verschiebe ich denn meine Perspektive, wenn mein ganzes Denken davon bestimmt ist?«
»Für den Moment halte ich mich daran fest, dass ich nicht mehr rennen und aufholen muss. Nicht besonders sein muss. Aber besonders sein wollen und besonders sein müssen sind so fest ineinander verknotet, dass ich nicht weiß, wie ich den Knoten lösen soll. Er hält mich zusammen, wenn ich ihn aufziehe, falle ich auseinander.«
Bei einem Satz von Özlem musste ich schlucken. »"Zwischen zwei Kulturen", wenn man mich auf die Palme bringen kann, dann mit dieser Plattitüde. Ich lächle.« Meine alten Werbekolleg*innen werden verstehen, warum.
⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 9783957323736
Verlag: Verbrecher Verlag

_____"Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" von Alena Schröder
03.09.2021
In „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid” von Alena Schröder macht sich die Studentin Hannah auf die Suche nach der Geschichte eines Briefs, den ihre Großmutter Evelyn erhalten hat. In diesem Brief steht, dass Dr. Evelyn Borowski die einzige lebende Erbin eines konfiszierten und nunmehr verschollenen Kunstvermögens sei. So beginnt Hannahs Suche nach Antworten.
Da ist die Großmutter Evelyn, über 80, stur, wortkarg. Über den Brief möchte sie nicht sprechen, genauso wenig wie über den Krieg und noch weniger über ihre leibliche Mutter, die es in den 30er Jahren nach Berlin zog, um einen jüdischen Redakteur zu heiraten und selbst Redakteurin zu werden, anstatt, ihrer Frauenrolle entsprechend, zu Hause als unglückliche Ehefrau und Mutter auszuharren. Das Redakteurs-Ehepaar flüchtet während des Zweiten Weltkriegs nach Dänemark. Da ist die Tante der Großmutter, die im Gegensatz zu ihrer Schwester im Dorf blieb und ihre Nichte großzog. Die Tante hatte nicht nur Spaß daran, sich Gerichte mit „echtem“ deutschen Gemüse (Kohl) auszudenken, sondern auch gegen Juden zu hetzen.
Eine vier Generationen umfassende Familiengeschichte aus der Frauenperspektive. Schnell fühlt man sich den Charakteren nahe. Die Zeitsprünge und Perspektivwechsel je Kapitel treiben die Geschichte schnell voran. Themen wie „Regreting Motherhood“, Judenverfolgung und Nazi-Raubkunst werden gestreift; teils fühlt sich das Buch wie ein Krimi an.
Fesselnd geschrieben, kommt man nicht umhin, das Buch in einem durchzulesen. Am Ende bleibt jedoch etwas Enttäuschung zurück, weil zugunsten des Erzähltempos nur oberflächlich auf Themen eingegangen wird. Dennoch eine absolute Leseempfehlung, weil man sofort das Bedürfnis hat, die eigene Familiengeschichte zu erkunden.
⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️
ISBN: 978-3-423-22028-6
Verlag: dtv
Meine Ausgabe: Büchergilde Gutenberg